Reis - Korn des Lebens

Die Vereinten Nationen haben 2004 zum Internationalen Reisjahr ausgerufen. Denn nur wenn es gelingt, die Reisernte von 600 auf 800 Millionen Tonnen zu steigern, hat die wachsende Erdbevölkerung auch in 20 Jahren noch genug zu essen.

Thailändischer Yasmin-Reis ist eine Kostbarkeit. Weil er nur einmal im Jahr geerntet werden kann und viel Arbeit erfordert. Damit die Bauern vom Anbau besser leben können, setzt die Progressive Farmer Association (PFA) auf genossenschaftliche Modelle und fair gehandelten Reis. Das lohnt sich.

Der „eiserne Büffel“ spuckt Gift und fette Rauchwolken. Hustend kommt der Motor auf Touren. Sein Knattern übertönt die zwitschernden Vögel in den nahen Bambussträuchern. Auch das Rauschen des Windes, der über die Reisfelder bei Kuchinarai im Nordosten von Thailand streift, ist jetzt nicht mehr zu hören.
Hier wächst der Reis bis zum Horizont in kleinen und großen Feldern, durchzogen von Bewässerungskanälen und Bächen, von Dämmen aus getrockneter Erde getrennt. Vereinzelt ragen Palmen oder Bananenstauden in den Himmel.
Doch die sechs Männer unter dem Scheunendach haben dafür keinen Blick. Sie bilden eine Kette - von dem bis zur Decke gestapelten Reisbüschel bis zu einem rotierenden Fass, eine Dreschanlage Marke Eigenbau. Sie wird von einem zweirädrigen Motorpflug angetrieben, den die Asiaten liebevoll den „eisernen Büffel“ nennen. Der erste Mann reicht die Büschel herunter, der zweite reicht sie weiter und der dritte drückt diese gegen das rotierende Fass, bis sich die Reiskörner von den Rispen lösen. Die Körner fallen in einen Eimer, werden in weiße Säcke geschüttet und vor der Scheune aufgestapelt. Schnell wachsen die Säcke zu einem Berg, die gemeinsame Ernte der Bauern in diesem Jahr: wunderbar duftender Hom-Mali-Reis, wie die Bauern ihren Jasminreis nennen, der nur hier im Nordosten Thailands wächst und eines der wichtigsten Exportgüter des Landes ist.
Einer der Reisbauern ist Patsorn Lee. Der schmächtige Mann mit der wuchtigen Brille auf der Nase trägt ein zerschlissenes Hemd mit langen Ärmeln. Um sich vor den winzigen Strohteilchen zu schützen, die der eiserne Büffel in die Luft pustet, die auf der Haut jucken und die Lunge zum Husten reizen.
Trotz der harten Arbeit blickt Patsorn Lee zufrieden drein. Im vergangenen Jahr hat es genügend geregnet, es war weder zu heiß noch zu kalt und seine Felder blieben von Blattkäfern und Stengelbohrern, von Pilzen und Blattbrand verschont, diesen Plagen, die jedem Reisbauern den Schlaf und den Ertrag rauben können.
Mit der Ernte sind diese Sorgen aus seinem Gesicht verschwunden. Jetzt im November, wenn sie den Reis gedroschen und abgeliefert haben, „werden wir endlich wieder Geld in der Tasche“, freut sich Lee. Das wird nicht viel, aber deutlich mehr sein als andere Bauern für ihren Reis bekommen. Weil der hagere Mann organischen Reis anbaut. Weil er für den Export produziert. Und weil er Mitglied der „Progressive Farmer Association“ (PFA) ist. Die thailändische Hilfsorganisation im Nordosten von Thailand kann dem Familienvater bis zu zwanzig Prozent mehr für seinen Reis bezahlen als er normalerweise bekäme. Denn die PFA gehört dem weltweiten Fairhandels-Netzwerk an. Alle Mitglieder beziehen ihre Produkte, zum Beispiel Reis, direkt bei den Bauern, um Zwischenhändler auszuschalten. Andererseits verkaufen sie den fair gehandelten Reis deutlich teurer an ihre Kundschaft. Die höhere Gewinnspanne soll dann Kleinbauern wie Patsorn Lee zu Gute kommen.
Der hockt nach getaner Arbeit zufrieden auf der Erde. Auf dem Feuer grillen kleine Fische aus dem nahen Teich und eine Flasche Reisschnaps macht die Runde. Gemeinsam schauen sie ihren Frauen zu, wie sie ein nahes Feld abernten und wie sie dabei, von der Sonne mit Tüchern und Strohhüten geschützt, auf einer Linie langsam voranrücken. Mit der Sichel ziehen sie dafür die Halme heran, köpfen die schweren Rispen und legen die Büschel hinter sich ab. Drei Tage werden sie in der Sonne trocknen, bevor sie zu größeren Bündeln geschnürt und zur Dreschmaschine getragen werden.
Patsorn Lee besitzt fast vier Hektar Land. Auf einem Hektar baut er Klebereis an, den sie selbst essen werden, auf den übrigen Feldern produziert er Jasminreis, weil er dafür einen doppelt so hohen Preis wie für normalen Reis erzielt.
Unorganisiert, vereinzelt, ohne Zugang zu Krediten und ohne Lagerräume musste Lee früher seinen Reis zu jedem Preis verkaufen. Damals galt der Nordosten als das Armenhaus Thailands.
Das ist auch heute noch so. Inzwischen aber schmückt eine Fernsehantenne die Hütte Lees. Im Stall stehen sechs Milchkühe sowie ein Wasserbüffel - allesamt Zeichen für ein wenig Wohlstand. In dem aus Holz erbauten Haus wohnt Lee mit seiner Frau und den beiden Töchtern Chan und Vipa. Das Dach ist weit nach unten gezogen. Es gibt keine Wände, nur der Schlafbereich ist abgetrennt.
Sie essen Gemüse, Fisch und Klebereis. Hungern muss hier niemand mehr, weiß Lee. Das verdankt er seiner fleißigen Frau, der eigenen Zähigkeit und einem Mann, den Patsorn Lee inzwischen seinen Freund nennt: Montri Gosalawat, Mitbegründer der Progressive Farmers Association (PFA).
 „Wir wollten die Lage der Menschen in unserer Heimat verbessern, aber auch etwas gegen die grassierende Umweltzerstörung tun“, sagt der 57-Jährige mit einem überraschenden Hamburger Akzent. Mitte der 60er Jahren hat er sich auf dem Landweg nach Europa durchgeschlagen, um im „Land der Tüftler“ Maschinenbau zu studieren, bevor er wieder in seine Heimat zurückkehrte, um dort für viele Entwicklungsorganisationen zu arbeiten.
Der Mann mit der leisen Stimme und den unruhigen Händen fischt sich eine weitere Zigarette aus dem Päckchen. „Um die Kredithaie auszuschalten, gründeten wir als Erstes eine Reisbank“, erzählt er. Das war 1986. Die versorgte Bauern erstmals mit billigen Krediten, „davor mussten sie fünf Prozent pro Monat bezahlen“. Inzwischen beraten 60 Mitarbeiter der PSA die Bauern in Fragen der Fruchtfolge oder der Schädlingsbekämpfung.
Möglich wurde das, weil Gosalawat Hilfsorganisationen wie die Deutsche Welthungerhilfe von seinen Ideen überzeugen konnte, wie man den Kleinbauern in seiner Heimat höhere Einkünfte verschaffen konnte. Zum Beispiel durch den Anbau von organischem Reis. Inzwischen bauen mehr als 200 der 5.000 Mitglieder Bioreis an - es könnten mehr sein, wenn die Nachfrage in Europa höher wäre.
Die fahrigen Hände sind Synonym für seinen ruhelosen aber kreativen Geist. Besucher führt er gern über die Versuchsfarm, auf der er mit Gemüsesorten und Anbaumethoden experimentiert, Gummibäume pflanzt, Fischteiche anlegt oder Tiere züchtet. Wasserbüffel zum Beispiel. Weil fast jeder zweite Kleinbauer über keine eigenen Zugtiere verfügt und sich diese für viel Gebühren bei Großbauern leihen mussten. Die PFA verschenkt die gezüchteten Büffel an ihre Bauern. Auch Patsorn Lee hat einen erhalten. Als Gegenleistung musste er das zweite Kalb an die PFA zurückgeben. Beweglicher Zins für ein System, das sich dadurch selbst am Leben hält und weiteren Mitgliedern zu einem Zugtier verhilft.
Der Wasserbüffel ist für Lee nicht nur als Last- und Arbeitstier von Bedeutung, sondern vor allem als Düngerproduzent. Fünf Tonnen durchlaufen jedes Jahr die Magenwände, bevor sie die Felder von Lee anreichern helfen.
Die Familie beackert 3,5 Hektar. Auf einem Hektar baut er für den Eigenbedarf Klebereis an, auf dem Rest Jasminreis. Schließlich bringt der Duftreis mit rund 10 Bhat pro Kilo mehr als doppelt so viel ein wie normaler Reis.
Der Reiszyklus im Nordosten Thailands beginnt Ende April, wenn der Monsun erstmals auf das Land niederprasselt. Dann pflügt der 65-Jährige seine Felder. Im Juni besorgt er das Saatgut bei der PFA, sät es und pflanzt die kleinen Setzlinge zwanzig Tage später ins große Feld um.
Seit fünf Jahren verzichtet er auf Spritzmittel um chemischen Dünger. „Der Boden ist dank der vielen Würmer viel lockerer geworden“, weiß Lee. Auch Frösche und Krabben kehren in die giftfreien Felder zurück. Und natürlich jede Menge Unkräuter, die Lee und seine Frau rupfen müssen.
Schädlinge bekämpft er mit einem Sud aus Eukalyptus- und Neembaum-Blätter, die mit Essig und Kräutern versetzt aufgekocht wurden. Das Wissen über die alternative Bewirtschaftung haben Sommai Poon und Patsorn Lee in Workshops der PFA gelernt; Pflichtprogramm für alle, die in den Genuss der fairen Preise gelangen wollen. In seinem Aufnahmeantrag hat Lee der PFA außerdem Kontrollen eingeräumt und sich bereit erklärt, über seine Felder, über ausgesäte Sorten, Schädlinge, Unkrautbekämpfung und Erntemengen exakt Buch zu führen.
Wie es die Bedingungen der „Fair Labelling Organization“ (FLO) vorsehen, die damit die korrekte Verwendung der Gelder sicherstellen will. Auch die PFA muss ihre Bücher offen legen. Einmal im Jahr fliegt ein Mitarbeiter der FLO in den Nordosten, um zu kontrollieren, ob die Gelder an die richtigen Empfänger geleitet, die Bauern an den Entscheidungsprozessen beteiligt wurden und der organische Anbau die gesetzten Kriterien einhält.
Ein aufwändiges Prozedere, dem Montri Gosalawat zustimmt, solange es den PFA-Bauern höhere Preise garantiert. Die gesamte Ernte seiner Biobauern hat er jedenfalls sehr schnell verkauft. Rund 400 Tonnen Bioreis hat die Fairhandels-Organisation „Max Havelaar“ in der Schweiz geordert, weitere 150 Tonnen sollen nach Holland verschifft werden.
Entsprechend hektisch geht es auf dem PFA-Gelände zu. Immer neue, mit Reissäcken beladene Lastwagen rollen auf den Hof. Auch Patsorn Lee liefert heute seine Ernte ab. Dafür hat er ein Lastentaxi gemietet, das den Reis vom zehn Kilometer entfernten Dreschplatz zur PFA transportiert. Zuerst wird der Wagen gewogen, dann leert Lee seine Säcke auf den betonierten und geputzten Boden, bevor ein PFA-Mitarbeiter das Lastentaxi erneut auf die Waage dirigiert. Die Differenz der Gewichte entspricht Lees Ernte: 12.540 Kilo. Dafür erhält Lee 104.458 Bhat, rund 2.600 Euro - mehr als genug, um seine Familie ein weiteres Jahr über die Runden zu bringen.
Nun ist es an der PFA, den Reis von Patsorn Lee zu bearbeiten, bevor er nach Europa exportiert werden kann. „In eine der Reismühlen im Umkreis werden wir den Reis säubern, die Spelzen von den Körnern trennen und einen Teil polieren, bis sie ihr charakteristisches Weiß erhalten“, erzählt Montri Gosalawat. Erst dann kann der PFA-Gründer die Container für den Export bestellen.
Von Bangkok aus werden diese nach Rotterdam verschifft, von dort mit der Bahn in die Schweiz nach Brunnen transportiert, bevor die Körner in der Reismühle Brunnen erneut verarbeitet, verpackt und an „Max Havalaar“ ausgeliefert werden. Die Schweizer Handelsgesellschaft beliefert damit Bio- und Weltläden sowie die großen Handelsketten Migros und Coop.
Zwei Trucks sind am Morgen auf den Hof gerollt. Bevor die zwei Dutzend Paletten „Bioreis“ in ihrem Bauch verschwinden, braucht die PFA ein Exportzertifikat, wie es alle 300 Reisexporteure des Landes vorweisen müssen. Mit diesem will das thailändische Wirtschaftsministerium die Qualität seiner Reisexporte sicherstellen.
Dazu ist ein Mitarbeiter der Zertifizierungsfirma „SGS“ die ganze Nacht von Bangkok in den Nordosten gefahren. Nun zieht er von jeder Palette Proben, riecht, wiegt und misst die Feuchtigkeit, überprüft die Reinheit der Lieferung und den Anteil an gebrochenen Reiskörnern. Am Ende stempelt er zufrieden sein Okay in die Papiere. Jetzt erst beginnen die PFA-Mitarbeiter, den Reis sorgsam in die Container zu stapeln.
Immer neue Paletten karrt der Gabelstapler heran. Die Männer wuchten die Säcke ins Innere. Keiner spricht. Jeder kennt die Handgriffe. Wenn sie am Ende die Tür plombieren, ist auch der Reis von Patsorn Lee im Container verschwunden. Spätestens in zwei Monaten wird der Reis aus der Jasminreis aus Thailand in den Regalen stehen - duftender Hom Malireis, der schmeckt und von dessen Kauf auch Erzeuger wie Patsorn Lee direkt profitieren.