Giftiges Wasser - schmutziges Geld

Die deutsche WestLB finanziert eine Ölpipeline in Ecuador. Naturschützer befürchten eine ökologische und soziale Katastrophe

Am Tor zur Baustelle der „Oleoducto de Crudos Pesados“ (OCP) unterhalb des Guarumos-Gipfels ist für die Parlamentarier aus Nordrhein-Westfalen Schluss. Zwanzig ecuadorianische Sicherheitskräfte verwehren Ute Koczy, grüne Abgeordnete sowie Sprecherin des Eine Welt-Ausschusses des NRW-Parlaments und Bernhard von Grünberg, ihrem Kollegen von der SPD, den Zugang zu jenem Höhenzug, der sich in der Auseinandersetzung um die OCP immer mehr zum Kristallisationspunkt entwickelt.
Seit Sommer 2001 errichtet das Konsortium aus sechs internationalen Ölgesellschaften und einem Baukonzern eine ca. 500 Kilometer lange und politisch umstrittene Schwerölpipeline. Die soll von der Ölstadt Lago Agrio im Amazonas bis zu den Anden parallel zu der 1972 gebauten SOTE verlaufen, dann die Hauptstadt Quito nördlich umgehen und etwa 193 Kilometer später wieder auf die alte Pipeline treffen und an ihrer Seite an den Pazifik geführt werden.
Ab Mitte 2003 sollen durch die gelben Röhren täglich bis zum 450.000 Barrel (159 Liter) Schweröl aus dem Amazonas an die Westküste gepumpt werden. Die Regierung von Ecuador verspricht sich von dem Projekt bis zu 50.000 Arbeitsplätze sowie Auslandsinvestitionen in Milliardenhöhe. „Wenn wir unsere ökonomische Krise überwinden wollen, müssen wir so viel Öl wie möglich fördern“, hat Präsident Gustuvo Noboa als Direktive ausgegeben.
Finanzieren will das 1,1 Milliarden US-Dollar teure Projekt eine Bankenkonsortium unter Federführung der nordrhein-westfälischen Landesbank, WestLB. Die Bank gerät deshalb zunehmend unter Druck und mit ihr auch die rotgrüne Landesregierung, die immerhin 43 Prozent der Anteile hält. Neben Menschenrechts- und Umweltorganisationen kritisiert auch die katholische Hilfsorganisation Misereor das Projekt. Einige von ihnen, wie zum Beispiel Greenpeace, fordern den Ausstieg aus dem Projekt.
Für die Pipeline-Gegner in Ecuador stehen die drei Buchstaben OCP für Umweltzerstörung, Ungerechtigkeit und Gewalt. Überall entlang der Trasse protestieren Menschen gegen den Bau - aus unterschiedlichen Gründen. In Nono blockieren Indiginas die Zufahrt zur Baustelle, weil die schweren OCP-Fahrzeuge die von ihren Vätern in Fronarbeit errichtete Straße zerstört. In den Gemeinden Israel und Curtado halten Bauern den Bauplatz besetzt, weil die OCP die versprochene Infrastruktur nicht errichtet. Und in Guarumos schließlich besetzten Anwohner die Bergspitze, weil sie um ihre Umwelt fürchten.
Die Stichstraße, die Nordrhein-Westfalens Abgeordnete nicht benutzen dürfen, führt zum Guarumos-Gipfel. Der Berg gehört zu einem 14,5 Kilometer langen Höhenzug und ist Teil des Nebelwald-Reservates von Mindo. Diese Region zählt Ian Davidson, Leiter von Birdlife International in Quito, zu den wichtigsten Vogelgebieten Südamerikas. Allein das Nebelwaldschutzgebiet von Mindo beherbergt 450 Vogelarten, von denen 46 als bedroht gelten.
Der Nebelwald von Mindo zählt zu den letzten zusammenhängenen andinen Nebelwäldern in Ecuador. Zwei Stunden dauert der Aufstieg zum Guarumos-Sattel und führt vorbei an Baumaterial und toten Baumstämmen. Nur wenige Monate ist die OCP-Baustelle alt, an manchen Stellen aber sind die Hänge bereits abgerutscht, haben die Regenfälle tiefe Rinnen in die steile Straße gerissen. Weshalb das Umweltministerium dem Konsortium die Lizenz entzogen hat - bis die Schäden beseitigt sind. 
Erst auf dem Sattel erhält man einen Eindruck von der Schönheit der Landschaft. Uralte Bäume bedecken die Bergkuppe. Manche der Äste verschwinden in den Wolken. Lianen und Flechten hängen herab. In dem dampfenden Grün wachsen Orchideen. Unten im Kessel des Nebelwaldschutzgebietes rauscht der Rio Mindo, Trinkwasserreservoir der Städte Mindo, Los Bancos und Puerto Quito. Über diesen Bergrücken soll einmal die Pipeline verlaufen. Der Sattel muss dafür gerodet, planiert und an den engen Stellen um viele Meter abgetragen werden. Mit dieser Trassenführung wollen sich die Anwohner nicht abfinden. Warum soll die Pipeline ein einzigartiges Naturparadies zerstören, statt parallel zur Sote-Linie geführt zu werden?
In der OCP-Zentrale gibt Raymond Kohut darauf eine schlichte Antwort. Weil eine parallele Führung in den engen Tälern nicht möglich gewesen sei. „Wir haben die Nordroute ausschließlich nach ökologischen Gründen ausgewählt“, sagt der Direktor für Umweltschutz und Kommunikation. Wegen der Erdrutschgefahr werde die OCP entlang der gesamten Strecke im Boden versenkt. Durch Computertechnologie wisse man jederzeit, was in und entlang der Leitung passiere und auf dem Höhenzug von Guarumos baue sein Konzern extra eine Seilbahn, um die Schäden zu minimieren. „Man kann eine Pipeline nicht besser machen“, sagt Kohut voller Überzeugung.
Wer mit Raymund Kohut sprechen will, der muss zwei Checkpoints, eine Tür aus Panzerglas und einen Metalldetektor passieren. Dahinter aber zeichnet der kanadische Familienvater das Bild einer Gesellschaft, deren die sozialen und ökologischen Folgen am Herzen liege. Um die Schäden zu minimieren habe seine Organisation auch mit allen größeren Umweltorganisationen gesprochen. Kohut wirft Namen wie World Wildlife Fund, Conservation International oder Birdlife International in den Raum und aus seinem Mund klingt es, als säßen - bis auf ein paar radikale Umweltschützer - alle im Boot der Ölgesellschaft.
Dort nachgefragt, weisen alle eine Zustimmung empört zurück. Eine Zusammenarbeit sei lediglich erfolgt, um die „ökologischen und sozioökonomischen Folgen“ zu minimieren, heißt es dort unisono. Für Wilfrido Vaca von der Umweltorganisation „Aktion für das Leben“ manifestiert sich in Kohuts Aussagen die pure Heuchelei. Für die Nordroute sprächen allein ökonomische Gesichtspunkte. Die Strecke ist um 40 Kilometer kürzer und spare dem Konzern 80 Millionen US-Dollar ein. Vor allem aber sei das Gebiet dünner besiedelt als im Süden von Quito, weshalb weniger Anwohner entschädigt werden müssten.
Fast drei Monate hat der 29-Jährige auf dem Guarumos-Gipfel demonstriert. Bis die Polizei in der Woche vor Ostern das Camp räumte und mit Vaca weitere 16 Umweltschützer, darunter 14 Ausländer, verhaftete. Neun von ihnen wurden sofort des Landes verwiesen. Die übrigen - darunter drei deutsche - saßen eine Woche lang in Untersuchungshaft, bis sie auf freien Fuß gesetzt wurden, weil der die Ausweisungen anordnende Beamte seine Kompetenzen überschritten hatte.
Wilfrido Vaca will trotz des Gefängnisaufenthaltes weiter gegen die OCP kämpfen. Um sein Engagement zu erklären, entfaltet er einen Plan auf seinem Küchentisch. Auf ihm sind die Soteleitung und die Trasse der OCP eingetragen sowie 49 gelbe Sterne. Jeder steht für einen Unfall entlang der Sote. Bis heute sind über 68 Millionen Liter Öl ausgeflossen, fast zweimal so viel wie beim Tankerunglück der Exxon Valdez in Alaska.
Umweltschäden können da nicht ausbleiben, ist Wilfrido Vaca überzeugt. Zu fragil sei die ecuadorianische Geologie. Die Pipeline muss alle 94 seismischen Bruchlinien und sechs aktive Vulkane passieren. „Die OCP ist eine ständige Bedrohung für die Umwelt“, sagt Vaca. Und für die Menschen. In Papallacta zum Beispiel wird die Pipeline einen Vulkanhang hinabgeführt, um dann in einer Entfernung von nur 80 Metern das Trinkwasserreservoir der Millionenstadt Quito zu passieren. Für Ute Koczy, die diese Stelle besuchte, eine „schockierende Tatsache“.
Für die Umweltorganisation Accion Ecologica nehmen sich die Schäden entlang der Pipeline jedoch winzig aus, im Vergleich zu den Verheerungen, die der Bau im Amazonas anrichten wird. Mit der neuen Pipeline können statt wie bisher 390.000 Barrel Öl bis zu 920.000 Barrel Öl an die Küste befördert werden. Dafür müsse die Produktion nahezu verdreifacht werden, hat der Ölexperte Adolfo Maldonado errechnet. „Dieser Druck wird weder vor dem Land der Indigina-Gemeinden noch den Grenzen unserer Nationalparks Halt machen“, erklärt Adolfo Maldonado von Accion Ecologica. Diese Sichtweise bestätigt der Parkleiter des Cuyabeno Nationalparks, für den „bereits fünf Anträge vorliegen“, so Luis Borbor. Im weiter südlich gelegenen Yasuni-Nationalpark bohrt Petroecuador bereits. Der Bau der OCP führt dazu, dass viele Ölgesellschaften in neue Ölfelder investieren.
Für die Urwälder des Amazonas bedeutet dies ihr Ende. Denn für jedes neue Feld müssen Ölleitungen und Straßen errichtet werden. In den Fördergebieten durchzieht schon jetzt ein dichtes Netz an Schotterpisten den ehemaligen Urwald. Nur noch vereinzelt überragen einzelne Urwaldriesen das ausgedünnte Grün. Die Wege führen vorbei an Tanklagern, offenen Ölseen und Auffangstationen. Überall steht schwarzer Rauch über dem Wald. Allein Petroecuador betreibt über 200 Förderanlagen östlich von Lago Agrio.
In einem davon, im Campo Shushundi, schlagen die Gasfackeln 25 Meter hoch in den Himmel. Ihr Wummern übertönt jedes Vogelgezwitscher. Hier trennt Petroecuador das Öl von Gas und Salzwasser. Das Gas wird verbrannt, das Salzwasser wieder in den Boden verpresst. Normalerweise. In Shushufindi sind die Auffangbecken den Hang hinabgerutscht. Seit drei Jahren kontaminiert das ätzende Salzwasser den Fluss. Deren Anwohner koennen weder das Wasser trinken noch ihre Felder bewässern.
Beispiele wie diese finden sich überall. Manche Flüsse transportieren 300 mal mehr Giftstoffe als die Trinkwasserverordnung erlaubt. Die Menschen leiden an Kopfschmerzen und Hautausschlägen. Einer neuen Studie zufolge erkranken die Menschen 30 Mal häufiger an Kehlkopfkrebs als im übrigen Land. Wer sich aber gegen die Folgen der Ölförderung wehrt, lebt gefährlich. Es erfordere „sehr viel Mut, sich gegen die Mächtigen in Ecuador zu erheben“, weiß Gonzales Lopez, der Bischof der Provinz Sucumbios.
Trotzdem haben die Anwohner der beiden Ölprovinzen Orellana und Sucumbios Anfang März den Aufstand geprobt. Elf Tage lang haben sie für bessere Lebensbedingungen gestreikt, Barrikaden errichtet und Ölanlagen besetzt. Die Regierung schickte Militär- und Spezialeinheiten. Durch ihren Einsatz starben drei Menschen. Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte die Weigerung des OCP-Konsortiums, Lago Agrio zu entschädigen. Das Konsortium baut im Westen der Stadt ihre „Plataforma Amazonas“, in der sie das Öl sammeln, teilweise raffinieren und von dort aus an die Küste pumpen will. Die Anlage liegt nur 600 Meter von den ersten Häusern entfernt und genau dort, wohin sich die Stadt ausdehnen wird. Der eigentliche Grund für die Standortwahl ist - neben finanziellen Überlegungen - einfach. „Um das Gelände vor Anschlägen zu schützen, dienen die Menschen als Schutzschilde, wenn die Stadt diese in einigen Jahren umschließen wird“, erklärt Maximo Abad, Bürgermeister der Stadt Lago Agrio.
Das OCP-Konsortium kann jedoch einen Beschluss des siebenköpfigen Gemeinderates vorweisen, der im September 2001 mit fünf gegen zwei Stimmen für die Pläne der Ölgesellschaften gestimmt hat. „Bei der Entscheidung der Gemeinderäte ist es ganz offensichtlich, dass hier Korruption im Spiel war“, kommentiert Ute Koczy dieses „skandalöse Verfahren“. Der SPD-Abgeordnete Bernhard von Grünberg pflichtet ihr bei. Nach vielen Gesprächen vor Ort haben die Abgeordneten immer das Gleiche zu hören bekommen. Um ihren Willen durchzusetzen, hält die OCP nicht den öffentlichen Verwaltungsweg ein, sondern greift sich strategisch einzelne Persönlichkeiten heraus.
Die Gemeinden am Kilometer 8,5 haben dieses Verfahren erlebt. Ihrem ehemaligen Gemeindepräsident seien 35.000 US-Dollar für die Wegerechte bezahlt worden, ohne dass die Anwohner davon erfahren hätten. Als die Baumaschinen dann anrückten, konnte die OCP ein Einwilligungsschreiben vorweisen, ohne dass die Einwohner der Gemeinde Hurtado jemals öffentlich um Erlaubnis gefragt worden waren.
Die Vorgehensweise der Ölgesellschaften gleicht sich, erklärt Luis Merino, Direktor für Umweltschutz in der Gemeindeverwaltung von Taraboa, dem logistischen Zentrum der kanadischen Alberta Oil Company, Hauptanteilseigner der OCP. Benötigen die Ölgesellschaften die Zustimmung einer Gemeinde, schicken sie zuerst einige Emissäre. Die versuchen mit Geld und Versprechungen deren Vertreter zu überzeugen und die Gemeinde zu spalten. „Gelingt das nicht, erscheint das Militär und setzt die Menschen unter Druck“, sagt Luis Merino.
Für Lago Agrio zeichnet Bürgermeister Maximo Abad ein ähnliches Bild. „Die OCP hat unsere Gemeinde gespalten, stiftet Unruhe und zerstört die Umwelt, ohne dass unsere Einwohner am Reichtum des Landes beteiligt würden“, sagt der 46-Jährige. Von seinem schäbigen Rathaus blickt Abad auf nicht asphaltierte Straßen und Schlaglöcher. Die Trinkwasserversorgung ist unzulänglich. Das Krankenhaus der Stadt verdient diesen Namen nicht und täglich fällt für mehrere Stunden der Strom aus - weil dem Kraftwerk der Diesel ausgeht.
Mit dem Ölverkauf erzielt Ecuador fast die Hälfte seiner Exporteinnahmen. Nahezu jeder Barrel fließt durch Lago Agrio, „die beiden Ölprovinzen gehören aber zu den ärmsten Regionen des Landes“, erklärt Maximo Abad. An diesem sozialen Ungleichgewicht wird sich auch in naher Zukunft nichts ändern. Im Gegenteil. In keinem Land Südamerikas ist der Reichtum ungleicher verteilt wie in Ecuador. Während die Regierung auf fünf Prozent Wachstum im Jahr 2001 verweist, müssen vier von fünf Einwohner mit weniger als 120 US-Dollar monatlich auskommen.
Nach dreißig Jahren Ölförderung fällt der Ökonom Alberto Acosta ein verheerendes Urteil: „Sie führte nie zu der Entwicklung, die wir uns erhofften. Die Ressourcen wurden verschleudert, unsere Auslandsverschuldung wuchs ins Unermessliche. Die Gewinne verblieben in den Händen weniger und wurden nach Florida verschafft.“ Der Bau der zweiten Pipeline wird diesen Prozess weiter vorantreiben, mahnte auch der Bischof von Sucumbios, Gonzales Lopez, bei seinem Besuch in der Bunderepublik. „Wenn Deutschland die OCP finanziert, wird dies die Konflikte in meinem Land weiter schüren.“