Steine gegen die Wüste

Deutsche Entwicklungshilfeträger haben in Burkina Faso in den vergangenen zwölf Jahren 40.000 Hektar Land vor der Verwüstung gerettet – mit einfachen Mitteln.

Die betörende Stimme des Muezzins weckt die Menschen in Kongoussi. Es ist kurz vor sechs Uhr und noch streichelt die Morgensonne die Haut. Spätestens in drei Stunden ist es auf den Feldern rund um die kleine Provinzhauptstadt im Zentralplateau Burkina Fasos so heiß, dass es kaum auszuhalten ist. In der Mittagshitze klettert die Quecksilbersäule auf über 45 Grad Celsius im Schatten. Vor wenigen Jahren hätte sich zu dieser Zeit kaum jemand freiwillig bewegt, und die meisten erwerbsfähigen Männer wären ohnehin nicht da gewesen, da sie woanders Arbeit suchen mussten. „Viele Menschen sind in andere Landesteile oder in die Nachbarländer ausgewandert“, sagt Adama Kaboré, Leiter des Projektes Patecore. „Der Boden gab einfach nicht mehr genug her, um alle zu ernähren.“ 
Das ist heute anders. Nachdem eine mehrere Jahre lange Dürreperiode 1984 eine Hungerkatastrophe in den Sahelstaaten ausgelöst hatte, startete die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) Ende der Achtziger das Projekt zur Bewirtschaftung des Bodens und zum Erhalt der Ressourcen, kurz Patecore, das heute von den drei staatlichen Trägern für Entwicklungszusammenarbeit GTZ, Deutscher Entwicklungsdienst (DED) und Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gemeinsam mit burkinischen Partnern betrieben wird. Die deutschen Entwicklungshelfer setzen dabei auf eine uralte Methode zum Schutz des Bodens vor Erosion: Sie legen Steine um die Felder und schütten die Erosionsgräben zu, in denen der Niederschlag während der Regenzeit ansonsten sofort abfließt. Fällt der Regen auf eine so behandelte Fläche, staut er sich darauf und sickert langsam in den Boden ein. „Dadurch, dass das Wasser gebremst wird, kann sich der Boden, der mitgeführt wird, absetzen und sedimentieren“, sagt Gerd Ullmann vom Deutschen Entwicklungsdienst (DED) und zeigt auf einen Steinwall, der schon vor zwölf Jahren angelegt worden ist. „Die Sedimentschicht hier ist wahrscheinlich mittlerweile einen Meter fünfzig dick. Der Boden ist besonders nährstoffreich, weil die ganzen Nährstoffe angeschwemmt kommen. Und er hat auch gute physikalische Eigenschaften, weil es gerade die wertvollen Be-standteile sind, die hier angeschwemmt werden.“ 
Die Methode des Steinelegens war in den Sahelstaaten auch schon vor dem Beginn des Patecore-Projekts bekannt. Aber da auf einem Hektar Ackerfläche rund 50 Kubikmeter Steine verbaut werden müssen, ist der durchschlagende Erfolg nur mit Hilfe des massiven Einsatzes von LKW während der Trockenzeit möglich. Der Arbeitseinsatz der burkinischen Bauern ist dabei immens: Allein für das Brechen der Steine, das die Familien selbst übernehmen, kalkuliert das Patecore mit 150 Arbeitskräftetagen pro Hektar. Im Januar, wenn die Felder abgeerntet sind und der Boden durch die starke Sonneneinstrahlung knochentrocken und steinhart ist, karren Schlepper mehr als 50.000 Ladungen Steine auf Felder in 600 burkinischen Dörfern des Zentralplateaus. „Damit schaffen wir 4.000 Hektar Ackerboden pro Jahr“, erzählt Melchior Landolt von der GTZ. Seit etwa zwölf Jahren arbeitet das Patecore und hat seitdem etwa 40.000 Hektar Ackerboden wieder fruchtbar gemacht – genug Fläche, um etwa 35.000 Menschen ein Jahr mit Getreide ernähren zu können.
Damit gehört das Patecore zu den erfolgreichsten deutschen Entwicklungshilfeprojekten in Westafrika, das im Bereich boden- und wasserkonservierende (BWK-) Maß-nahmen inzwischen Modellcharakter hat. Selbst in Jahren mit sehr niedrigen Niederschlagsmengen können Hirse und Mais aufgrund der hohen Infiltrationsrate des Wassers ausreifen. In früheren Jahren bedeutete wenig Regen einen Totalausfall der Ernte, und die Bevölkerung hungerte. Fällt die Regenzeit heute gut aus, steigert sich der Ertrag für die burkinischen Bauern erheblich: Bis zu 75 Prozent mehr Getreide ernten sie jetzt auf ihren Feldern.
Einhergehend mit den Steinwällen haben die deutschen Entwicklungshelfer gemeinsam mit den Bauern, die sich in Selbsthilfeorganisationen in ihren Dörfern zusammengeschlossen haben, ein ausgeklügeltes System aus Pflanz-technik und Naturdünger entwickelt, mit dem der Ertrag zusätzlich zu den BWK-Maßnahmen verbessert werden kann. „Eigentlich ist der Getreideanbau hier in der Sahelzone ein Lotteriespiel“, sagt Adama Kaboré. „Man weiß nie, wann die Regenzeit einsetzt. Manchmal kann es passieren, dass es schon bis Anfang Mai drei- oder viermal geregnet hat, der Niederschlag aber nicht ausreicht, damit die Keimlinge überleben. Dann hat der Bauer vielleicht schon dreimal ausgesät und kein Saatgut mehr, wenn der Regen wirklich kommt.“ Von Juni bis Ende September ist Regenzeit. Um jeden Tropfen des kostbaren Nass nutzen zu können, werden die Saatkörner nicht nur einfach in den Boden eingebracht, sondern in so genannte Sai gepflanzt: etwa 40 Zentimeter breite kreisförmige Pflanzlöcher, in denen das Wasser keilförmig zum Pflanzkorn läuft. Diese Sai sind mit Naturdung gefüllt, der im Jahr vorher aus bis dato nutzlosen Pflanzenüberresten wie Stängeln und Blät-tern oder Viehdung kompostiert worden ist. Dadurch erhält die Pflanze die Menge an Nährstoffen, die sie braucht, um keimen und anschließend wachsen zu können.
Die Verwüstung ist von Menschen gemacht. Bevölkerungsdruck, Überweidung und sinkende Erlöse auf den Weltmärkten für Getreide, Vieh und Baumwolle üben auch heute einen immensen Verwertungs- und Konkur-renzdruck auf weite Teile des Ackerbodens in Burkina Faso aus. „Mit diesen Ernährungsschutzmaßnahmen haben wir innerhalb von gut zehn Jahren erreicht, dass eine große Bevölkerung in drei Provinzen sich inzwischen wieder selbst ernähren kann“, sagt Melchior Landolt. „Wir haben auch beobachtet, dass der Trend der Desertifikation aufgehalten werden konnte und die Natur wieder zurückkommt. Das heißt, nicht nur die Agrarertragsfähigkeit hat zugenommen, sondern die gesamte Vegetation hat sich positiv entwickelt.“ Auch Vögel kommen wieder zurück in das Zentralplateau des Sahelstaates, und der Grundwasser-spiegel ist erheblich gestiegen. Pro Quadratmeter dringen etwa 50 Liter Wasser mehr in den Boden ein als vor den Maßnahmen, so dass selbst längst versiegte Trinkwasserbrunnen wieder genutzt werden können. Das Knowhow und die Organisation der Steinlieferungen haben die bur-kinischen Bauern inzwischen längst übernommen. „Wir tragen die Steine selbst zusammen und benötigen dann nur noch den LKW des Patecore, damit die Steine auf die Felder transportiert werden können“, sagt Alain Ouedraogo aus Poni, der die BWK-Maßnahmen im Familienverbund gemeinsam mit seinen Brüdern organisiert. Auf dem Feld wacht dann einer der Brüder über die richtige Anordnung der Steinwälle. Aber den Transport der Steine auf die Felder können auch die Ouedraogos, die ihre Ernten in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert haben, nicht fi-nanzieren.
„150 Euro kalkulieren wir für einen Hektar Ackerfläche, auf dem durchschnittlich 50 Tonnen Steine verbaut werden“, sagt Melchior Landolt. Viel zu viel für die burkinischen Bauern, die nur in guten Jahren einen geringen Überschuss Hirse verkaufen können. In den meisten Jahren betreiben sie reine Subsistenzwirtschaft, ohne auch nur ein Kilo Hirse zu verkaufen. „500.000 Hektar Boden könnte man noch vor der Desertifikation hier im Zentralplateau schützen“, sagt Melchior Landolt, der die Arbeit des Patecore als „vergleichsweise günstige Infrastrukturmaßnahme“ bezeichnet: Mit 75 Millionen Euro wäre also das gesamte Zentralplateau in landwirtschaftliche Nutzungsfläche zu überführen. Doch voraussichtlich 2006 werden sich die deutschen Entwicklungszusammenarbeitsträger aus dem Projekt Patecore herausziehen. „Wir hoffen, dass andere Geber wie die Weltbank oder die EU in die Finanzierung einsteigen“, sagt Melchior Landolt.