Entwickeln durch Annähern

Damit sich das Mekongbecken nachhaltig entwickeln kann, müssen die Anrainer ihre nationalen Interessen zurückstellen. Die Mekong River Commission weist ihnen den Weg.

Chan Dy zieht seine Handschuhe an. Das Zeichen für den Aufbruch. Die Reisenden zwängen sich auf die winzigen Sitze des sechs Meter langen, kaum einen Meter breiten Bootes. Chan Dy lässt den Vierzylinder Toyota-Motor aufröhren und gibt Gas.
Schnell ist der Anleger von Kompong Cham, der kleinen, zwei Autostunden von Phnom Phen entfernt liegenden Stadt, aus den Augenwinkeln verschwunden. Das Boot klatscht auf die Wellen. Gischt nässt die Passagiere ein. Bequem wird die Reise nicht. Dafür rasant.
Mit 60 Stundenkilometer jagt Chan Dy den träge dahin fließenden Mekong hinauf. Gegen den brutalen Lärm hat sich der Kapitän Watte in die Ohren gesteckt. Die Handschuhe federn das vibrierende Ruder ab.
Auf dem Fluss wird es einsam. Nur ab und zu überholt Dy Hausboote, die in Richtung laotischer Grenze schippern. An den Ufern gießen Männer die frisch angelegten Felder, Kinder winken, Fischer werfen ihre Netze aus und wo der Mekong in die Breite geht, hegen Bauern im seichten Wasser errichtete schwimmende Gemüsegärten.
Der Mekong nährt sie alle. „Deshalb nennen die Kambodschaner ihn auch respektvoll ‚Tonle Thom’, das große Wasser“, schreit Cornelis van Tuyll von der GTZ gegen den Motorlärm an. Seinem Namen macht der Mekong vor allem während der Regenzeit alle Ehre. Dann setzt er ein Drittel des Königreiches unter Wasser und hinterlässt dort seinen fruchtbaren Schlamm. Der Tonle Thom dient außerdem als Hauptverkehrsader, Trinkwasserquelle und Dank seines Fischreichtums auch als wichtigster Proteinlieferant für die knapp 14 Millionen Einwohner. „Für das kleine Königreich ist der Mekong im wahrsten Sinne die Lebensader“, weiß Cornelis van Tuyll.
Und so blicken die Kambodschaner zuweilen sorgenvoll auf die Anrainerstaaten, mit denen das Land durch den Fluss verbunden ist. China und Myanmar am Oberlauf. Laos, Thailand und Vietnam im so genannten unteren Mekongbecken.
So unterschiedlich die Länder, so unterschiedliche Interessen verbinden die Anrainerstaaten mit dem Mekong. So wollen China und Laos Staudämme bauen, um Energie zu gewinnen. Thailand möchte einen Nebenfluss umleiten und damit seine Metropole Bangkok mit Trinkwasser versorgen. Schon heute entnehmen China und Thailand dem Mekong oder seinen Zuflüssen riesige Wassermengen, um damit ihre Felder zu bewässern.
Diese Aktivitäten sind nicht ohne Konsequenzen. Staudämme verhindern den kontinuierlichen Wasser- und Sedimentstrom. Außerdem riegeln sie den Oberlauf für viele Fischarten ab. Die unterschiedlichen Konfliktpotenziale treten immer offener zu Tage, vor allem weil der Wasserbedarf in allen Anrainerstaaten steigt. Zur Beilegung etwaiger Streitereien gab es mit dem 1957 gegründeten Mekong Komitee zwar ein Forum. Allerdings fehlt der rechtsverbindliche Status. Dieser wurde erst mit einer Kooperationsvereinbarung und der Gründung der Mekong River Commission (MRC) am 5. April 1995 vereinbart. Unterzeichnet haben Kambodscha, Laos, Thailand und Vietnam. Myanmar und China lehnten eine Mitgliedschaft ab und begnügen sich mit einem Beobachterstatus.
Künftig wollen die Länder bei der Wassernutzung zusammenarbeiten, sich aber vor allem über Projekte im Mekongbecken informieren. 
Die MRC hat dafür neun Arbeitsfelder abgesteckt. So entwerfen die 100 Mitarbeiter einen Entwicklungsplan, erarbeiten Regeln für die Wasserentnahme, die Fischerei, für Schifffahrt und den Bau von Staudämmen. Außerdem fördert die MRC den Hochwasserschutz und die Ausbildung von Fachleuten. Und es unterhält ein Programm für Landwirtschaft, Bewässerung und Forst. Bisher wird die Arbeit des MRC vor allem mit internationaler Hilfe finanziert. Geberländer sind u. a. Schweden, Dänemark, Japan und die Bundesrepublik Deutschland.
Durch die GTZ unterstützt die deutsche Seite die MRC beim Management von Wassereinzugsgebieten. „Das klingt wie ein technisches Thema, ist jedoch in Wahrheit politisch hochbrisant“, sagt Cornelis van Tuyll. Der Programmdirektor der GTZ dirigiert den Fahrer an das Ufer. Auf der Böschung liegen verwitterte Baumstämme. Van Tuyll watet durch den warmen Sand und reckt seine eingeschlafenen Gelenke. „Noch bis vor wenigen Jahren wurde hier illegal eingeschlagenes Holz abtransportiert“, weiß der GTZ-Mitarbeiter Christoph Feldkötter.
Das bewaldete Ufer gibt darauf keinen Hinweis, wohl aber die verrosteten Lastwagen und Baumaschinen. Vor allem die mitgebrachten Satellitenaufnahmen zeichnen ein scharfes Bild. Darauf sind die in den Urwald getriebene Piste zu erkennen und der Kahlschlag zu beiden Seiten.
Aufnahmen von anderen Regionen illustrieren eine ähnliche Entwicklung. Überall verschwindet der Wald in Atem beraubender Geschwindigkeit. In der Grenzregion zu Thailand ist die Hälfte einer weit über 1.000 Quadratkilometer großen Waldregion gerodet worden. Weil Thailand weite Teile seines Waldbestandes verloren und deshalb ein Einschlagverbot verhängt hat, schlagen die Holzfirmen nun verstärkt in Kambodscha und Laos ein. Auch im kambodschanischen Grenzgebiet zu Vietnam verschwindet der Wald. Überall zeigen Satellitenaufnahmen, „dass sehr viel Holz eingeschlagen wurde“, sagt Feldkötter.
Viele Regionen liegen weit ab vom Mekong. Trotzdem beeinflusst der Raubbau an den Wäldern seinen Wasserhaushalt. Denn mit der großflächigen Abholzung verliert der Boden seine Fähigkeit, Wasser zu speichern. Es läuft schneller ab und fehlt der Landwirtschaft in der Trockenzeit. Für den Mekong bedeutet dies, dass er noch mehr Wasser und auch mehr erodierten Boden während der Regenzeit verkraften muss.
Die Schäden steigen entsprechend. „Allein im Jahr 2000 sind in den Fluten des Mekongs in Vietnam und Kambodscha 900 Menschen ums Leben gekommen. Die angerichteten Schäden beliefen sich auf 250 Millionen US-Dollar“, sagt Tuyll.
Zwar ist den Anrainerstaaten der Zusammenhang zwischen dem Management von Wassereinzugsgebieten und dem Mekong bewusst. Noch aber sind sie weder Willens noch in der Lage, Konsequenzen zu ziehen. Keines der Länder bewirtschaftet seine Wassereinzugsgebiete nachhaltig. Es fehlen Gesetze und Regeln. In jedem Land herrschen andere Zuständigkeiten. Entsprechend schwierig gestaltet sich der Anpassungsprozess.
Vor allem aber beharren die Regierungen auf ihrer nationalen Zuständigkeit. So will China, nicht Mitglied im MRC, den Staaten am Unterlauf kein Mitspracherecht darüber einräumen, ob die Volksrepublik Staudämme am Oberlauf oder an Nebenflüssen errichtet oder nicht. Selbst die politischen Vertreter der MRC-Länder sind sich uneinig darüber, ob und welche Zuflüsse zum unteren Mekongbecken gehören und wie weit das Management von Wassereinzugsgebieten reichen soll.
Nach zweieinhalb Stunden erreicht Chan Dy das kleine Städtchen Kratie. Am Anleger liegt die Fähre, die den Norden Kambodschas mit der Hauptstadt verbindet. Auf dem Dach sitzen Touristen. Inzwischen gibt es kleine Pensionen in der Stadt und einen Markt, auf dem es Textilien mit Preisschildern von H & M in Euro zu kaufen gibt. Hehlerware aus einer der Textilfabriken Phnom Phens.
Während die Weltwirtschaft immer globaler handelt, agieren die Regierungen in den Mekongländern noch aus einem nationalstaatlichen Blickwinkel. „Da gilt es noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten“, weiß van Tuyll. Deshalb will die GTZ den Dialog zwischen den Ländern stärken. Ziel ist es, die unterschiedlichen Richtlinien anzugleichen und bessere Konzepte für die Bewirtschaftung der Einzugsgebiete zu erarbeiten.
Vor allem aber müssen Anreize geschaffen werden. „Wenn am Oberlauf Bauern darauf verzichten, Steilhänge zu beackern oder Wälder einzuschlagen, profitieren davon vor allem die Menschen am Unterlauf“, erklärt van Tuyll. Dafür aber brauche es ein Ausgleich wie er zum Beispiel in Guatemala funktioniere. „Da entrichten sie am Unterlauf Wassergebühren, die am Oberlauf investiert werden können“, weiß der Holländer im GTZ-Dienst.
Noch klingt das wie Zukunftsmusik. Erst müssen die Anrainerländer davon überzeugt werden, dass es mit einer Bewirtschaftung der grenzüberschreitenden Wassereinzugsgebiete nicht getan ist, sondern dass nur eine generell nachhaltige Bewirtschaftung aller Wassereinzugsgebiete im gesamten Becken die Wasserqualität und -quantität des Mekongs sichern kann.
Um den Verwaltungen ein praktikables Werkzeug an die Hand zu geben, erfassen die GTZ-Mitarbeiter positive und negative Beispiele der Bewirtschaftung. „Wir wollen zeigen, wie das Potenzial in der Forst- und Landwirtschaft auf Dauer genutzt werden kann“, sagt van Tuyll. Außerdem sollen die nationalen Strategien auf ihre Praktikabilität abgeklopft werden.
Was auf dem theoretischen Reißbrett einfach klingt, wird in der Praxis von einigen Faktoren unterminiert. So ist das legale oder illegale Abholzen der Urwälder im großen Stil ein für Militärs, Unternehmen und Politiker ein einträgliches Geschäft und für viele Landlose oder ethnische Minderheiten schiere Notwendigkeit. Erstere werden darauf nicht verzichten wollen. Familien wie die von Ouch Eng können es nicht.
Der 32-jährige haust mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in einer ärmlichen Hütte. Um ihn zu besuchen, muss man in Stueng Treng, der letzten Stadt vor der Grenze zu Laos ein Taxi mieten und eine Stunde lang Richtung Südwesten fahren. Gebaut wurde die Piste von Konzessionären, um möglichst viele Urwaldhölzer abtransportieren zu können. Nach dem Raubbau haben sich Leute mit guten Kontakten große Ländereien angeeignet, um darauf Bananen- und Ananasplantagen anzulegen.
Ouch Eng muss sein Wasser auf dem Fahrrad zu seiner Hütte transportieren. Er pflanzt Reis, Bananen und Mangos, sofern es genügend regnet. Gibt der Boden nichts mehr her, muss er ein weiteres Stück Urwald niederbrennen.
Thailand hat diesen Wanderfeldbau verboten, in Kambodscha „geht das nur, wenn man den Menschen eine Alternative bieten kann“, sagt van Tuyll. Der meiste Urwald verschwindet ohnehin, weil internationale Holz- oder Agrarkonzerne sich auf vielerlei Weise Konzessionen beschaffen können.
Die Folgen dieser Politik meinen Anwohner schon heute zu spüren. „In den letzten fünf Jahren hat es immer weniger geregnet“, weiß Seit Thary. Der 26-Jährige lebt mit seiner Familie südlich von Stueng Treng. Er trinkt das Wasser, bewässert damit seine Felder und fängt im Strom Fische. Die sind in den vergangenen Jahr ebenfalls weniger geworden, so dass Seit Thary bald nicht mehr weiß wie er seine Familie ernähren soll.
Ob sich damit bereits eine dauerhafte Klimaveränderung abzeichnet oder es sich dabei nur um eine natürliche Schwankung handelt, kann niemand mit Gewissheit sagen. Doch die Momentaufnahme bestärkt Cornelis van Tuyll in seiner Sichtweise. Der GTZ-Mann verabschiedet sich von den Anwohnern, zwängt sich ein letztes Mal in das kleine Boot und rät zum Aufbruch. Drei Stunden wird Chan Dy brauchen, bis er die 200 Kilometer nach Kampong Cham zurückgelegt hat. Die kleine Reise hat dem Programmdirektor erneut das Potenzial im Mekongbecken vor Augen geführt. Es zu entwickeln wird jedoch nur gelingen, wenn die bisher unregulierte Wirtschaftsweise in eine nachhaltige überführt werden kann. Dafür braucht es eine engere Zusammenarbeit der Länder. „Wir wollen den Regierungen klar machen, dass das Festhalten an nationalen Interessen allenfalls kurzfristige Vorteile bringt, langfristig aber einer Entwicklung der Region und damit jedes einzelnen Staates entgegensteht.“ Diese Einsicht setzt einen Blick über die Grenzen hinweg voraus. Bisher teilen die Länder im Mekongbecken lediglich eine Geschichte politischer und kriegerischer Konflikte. Erst seit zehn Jahren herrscht ein wackliger Frieden in der Region. Auf Dauer wird er nur bestehen, wenn die Länder das Potenzial des Mekong gemeinsam erschließen.