So kocht die Welt
Feuerstellen durch effiziente Herde zu ersetzen – das würde Hunderttausende Menschenleben retten. Nur ist das gar nicht so einfach.
Wenn die Frau und der Mann von heute kochen wollen, zum Beispiel den
Klassiker Spaghetti Bolognese, dann holen sie Hackfleisch, Zwiebeln,
Tomaten aus dem Kühlschrank. Nur ein Dreh, und die Kochplatten werden
heiß. Während die modernen Menschen an den Töpfen hantieren, sehen sie
fern oder schauen den Kindern im Wohnzimmer beim Spielen zu.
Architektonisch ist die Küche längst in den Wohnraum eingepasst. Kochen
muss heute schick sein, Vergnügen bereiten und schnell gehen. Wenn
Claire Namukasa in Uganda das Essen für ihre sechsköpfige Familie kochen
will, zum Beispiel den ostafrikanischen Klassiker Bohnen mit
Kochbananen, dann weicht sie Bohnen ein, schließt die Haustür und
wandert mit ihren Töchtern zum vier Kilometer entfernten Staatsforst.
Dort schlägt sie Äste, fällt kleine Bäume, schichtet das Holz
aufeinander und bindet daraus Bündel. Die der Töchter wiegen 15 Kilo,
ihr eigenes 40 Kilo und mehr. Auf ihren Köpfen balancieren sie das Holz
zu ihrer Kochhütte. Drei Steine stehen in einer Ecke, dazwischen
entzündet die Mutter das Feuer. Mit der Hand wedelt sie den beißenden
Rauch aus ihrem Gesicht. Claire Namukasa hustet, ihre Augen tränen.
Kochen ist für die junge Frau eine Last.
Wie Claire Namukasa kochen
mehr als drei Milliarden Menschen ihr Essen über Pflanzenresten, Kuhdung
oder Feuerholz. Geschmack oder Raffinesse spielen in ihrer Küche kaum
eine Rolle. Brennholz müssen sie finden und den Qualm der offenen Feuer
ertragen.
Wer einmal im Rauch eines Lagerfeuers saß, der hat eine
Ahnung von dessen Giftigkeit. Der weiße Rauch ist ein Cocktail aus
unverbrannten Gasen, Rußpartikeln und chemischen Substanzen wie
Karbonmonoxyd, Stickstoffoxide, Formaldehyd, Benzol.
Frauen, die in so einer Wolke kochen, inhalieren täglich so viele
Schadstoffe
wie ein Kettenraucher. „Indoor Air Pollution“ nennt die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Phänomen. Die WHO schätzt, dass an
der Innenraumluft-Verschmutzung jedes Jahr mehr als 1,6 Millionen
Menschen sterben. Anders gesagt: Kochen tötet mehr Frauen und Kinder als
Malaria.
Hinzu kommt der Holzverbrauch. Jeden Tag verbrennen
geschätzte drei Millionen Tonnen Holz unter Töpfen und Pfannen, eine
Menge, für deren Transport eine Lkw-Kolonne von Hamburg bis Marseille
notwendig wäre. Gerade in dicht besiedelten Regionen verschwinden die
Waldflächen heute schneller als Speiseeis in der Mittagssonne. Holz ist
das Öl armer Leute. In vielen Ländern deckt es zwei Drittel des gesamten
Energiebedarfs. Zudem entstehen fünf Prozent der weltweiten Methangas-
und bis zu 14 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen beim Kochen. Das heißt
aber auch: Mit effizienten Herden ausgestattet, könnte eine Familie pro
Jahr etwa die Emission von zehn Tonnen Karbondioxid sparen.
Wie
die Welt kocht, ist also nicht nur eine Frage des Geschmacks. Moderne
Herde verbessern die soziale und ökonomische Lage der Menschen und
schützen darüber hinaus die Umwelt. Wer das genauer wissen will, der
muss in den Norden von Frankfurt reisen, zu Agnes Klingshirn. Die
Ethno-Soziologin weiß über das Kochen so viel wie der Spitzenkoch Harald
Wohlfahrt über Aromen und Extrakte. Sie öffnet den Blick auf eine
unbekannte Welt, in der das Essen nur eine Nebenrolle spielt. Wer
allerdings von ihr einfache Antworten auf einfache Fragen erwartet, den
wird sie enttäuschen. Das Thema ist komplex. Stadtbewohner kochen anders
als Menschen auf dem Land. Die geografische Lage und die vorhandenen
Lebensmittel prägen regionale Kochkulturen. Welche Herde die Menschen
nutzen, hängt von ihrer Kaufkraft ab, aber auch von der Fähigkeit, mit
moderner Technik umzugehen.
Eine einfache Antwort aber gibt Agnes
Klingshirn: „Es sind vor allem Frauen, die am Qualm sterben, die unter
der Brennstoffkrise leiden und die häufig mehrmals die Woche stundenlang
Feuerholz suchen.“ Deshalb fehlen sie bei der Feldarbeit. Wer
ineffizient kocht, wird ärmer. Und kocht anders. Wird der Brennstoff
knapp, verschwinden lange kochende Gerichte vom Speiseplan oder Familien
verzichten gleich auf regelmäßiges warmes Essen. Die Holzsuche aber
wird immer gefährlicher. In Uganda etwa werden Frauen, die in
privaten Schonungen von den männlichen Wärtern beim Holzstehlen erwischt
werden, verprügelt und nicht selten vergewaltigt.
Kochen ist
Frauensache. Vermutlich wurde das Thema deshalb so lange von der großen
Politik vergessen. „Beim Thema Energie dachten Regierungschefs lieber an
große Kraftwerke oder prestigeträchtige Windräder als daran, eine
Revolution in der Küche zu befeuern“, sagt Agnes Klingshirn. Sie hat als
eine der Ersten 1983 in Kenia ein Projekt für effiziente Herde im
Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)
entwickelt. Mittlerweile unterhält die Organisation ein eigenes
Kochenergie-Programm. Agnes Klingshirn hat es aufgebaut und dazu
beigetragen, dass die GTZ in Sachen Kochenergie zu den führenden
Entwicklungsorganisationen auf der Welt zählt.
Die politischen
Vorzeichen haben sich inzwischen geändert. Der Kenntnisstand ebenfalls.
„Anfangs wussten wir noch zu wenig über die unterschiedlichen
Kochkulturen. Weder hatten wir moderne Herde noch Methoden, diese auch
effektiv zu verbreiten“, sagt Agnes Klingshirn. Inzwischen gibt es Herde
für Familien, für Kantinen, Restaurants und Bäckereien, die nur noch
einen Bruchteil des Brennstoffs verbrauchen und kaum noch Rauch
erzeugen.
In vielen Ländern fördern Regierungen die Verbreitung
dieser Technik. China hat inzwischen rund 175 Millionen Herde verteilt.
Durch die staatlichen Subventionen sind private Unternehmen entstanden,
die ihre modernen Herde in zahlreiche Länder exportieren. Die
Brennstoffkrise befeuert inzwischen auch die Fantasie großer
Unternehmen. So investieren neben der deutschen BSH Bosch und Siemens
Hausgeräte GmbH auch der niederländische Konkurrent Philips in Herde für
Entwicklungsländer.
Alle Akteure stehen dabei vor einer
grundsätzlichen Frage: Entwickeln sie Modelle, die den Brennstoff Holz
besser nutzen oder die ihn durch Pflanzenöle, Kerosin, (Bio-)Gas oder
Sonnenenergie ersetzen? Je sauberer die Verbrennung, desto besser.
Hochwertige Brennstoffe schützen Frauen und Kinder am besten vor Augen-
und Atemwegserkrankungen. Doch so einfach ist das nicht.
Anand
Karve ist groß gewachsen. Er trägt einen weißen Bart, Hornbrille und
einen Doktortitel. In seinem Appropriate Rural Technology Institute
(Arti) entwickelt er mit zwei Dutzend Mitarbeitern immer neue Herde. Das
Institut ist in einem Wohnhaus im Süden der Millionenstadt Pune
untergebracht, an dem der Monsun längst alle Farbe abgewaschen hat.
Anand
Karve empfängt Besucher in einem Büro, das kaum größer ist als eine
deutsche Abstellkammer. Der 71-Jährige stammt aus einer angesehenen
Brahmanenfamilie; Vater, Mutter und Großvater waren angesehene
Wissenschaftler wie er selbst. Das ist ihm Status genug, wichtiger ist
ihm die Sache: „Neun von zehn Indern auf dem Land verbrennen Holz und
Kuhdung. Jedes Jahr sterben an den Folgen mindestens 400 000 Menschen,
mehr als in jedem anderen Staat.“
Auf einem Foto an der Wand
schüttelt Anand Karve die Hand von Prinz Charles. 2006 hat der ihm den
renommierten Ashden-Award überreicht, den Karve schon zum zweiten Mal
erhalten hat. 2002 für einen Brennofen, der Zuckerrohrreste zu Holzkohle
verwandelt; vier Jahre später für eine Biogasanlage, „die mit
Küchenabfällen 400 Mal mehr Gas produziert als eine, die mit Kuhdung
funktioniert“, sagt Karve stolz. Seine Erfindung könnte eine Zäsur für
die Entwicklung des Biogassektors bedeuten. Mehr als 2,5 Millionen
Anlagen gebe es in Indien, die Biogas aus Kuhmist, Gülle und Wasser
gewinnen.
Auf einer Wiese neben dem Wohnhaus stehen seine
Modelle, alle aus einfachen Wassertanks hergestellt. Zwei Quadratmeter
braucht so eine Anlage. Sie stinkt nicht, passt auf jeden Balkon, eignet
sich also auch für die Stadt. Die Anlagen von Karve verwandeln
Essensreste, verdorbenes Obst und zerdrückte Pflanzenabfälle in Gas und
Wasser. Überfüttern darf man sie nicht, sonst machen die
Methan-Bakterien schlapp. „Aus einem Kilo dieser Küchenabfälle gewinnen
wir in 24 Stunden 500 Gramm Methangas“, erklärt der Wissenschaftler.
Damit könnten das Essen für eine sechsköpfige Familie zubereitet und
zudem zehn Liter Wasser erhitzt werden.
25 Herde hat Anand Karve
erfunden. In seinem Labor in Pune stehen Modelle aus Metall, Ton und
Keramik; Prototypen, die mit Holz und Holzkohle und der Spreu von Weizen
und Reis funktionieren. Getestet werden sie im Forschungszentrum des
Instituts, eine Autostunde südöstlich der Stadt.
Die neu ausgebaute
Schnellstraße symbolisiert Indiens Aufbruch in die Zukunft. In den
Dörfern um das Institut jedoch kochen die Menschen mit traditionellen
Lehmöfen. In den Küchen ist der Wandel noch nicht angekommen. Laksmi
Babansonanvane bläst in die Glut. Die Falten eines langen Lebens haben
sich in ihr Gesicht gegraben. „Als kleines Mädchen durfte ich nicht in
den Wald, weil dort wilde Elefanten und Bären lebten“, erinnert sie
sich. Mit der Jugend ist auch der Wald verschwunden. Nun wandert die
75-Jährige zweimal die Woche über die Felder, schaut unter Bäume und
Büsche, sammelt Rinde, Äste und welke Blätter.
Ihre Nachbarin Jashoda
Panthari kann für ihre achtköpfige Großfamilie gar nicht so viel
sammeln, wie sie braucht. 40 Kilo Feuerholz kauft sie jeden Monat. Bis
zu sechs Euro gibt sie dafür aus, den Lohn einer ganzen Woche. Nun steht
ein runder Herd aus Metall in ihrem Haus. Unter dem Topf lodern rote
Flammen ohne Rauch. Zuvor hat Jashoda Panthari die Brennkammer mit
Holzstückchen gefüllt und das Holz oben, nicht wie üblich unten,
entzündet. Das setzt einen Effekt in Gang, den Experten Holzvergasung
nennen. Um das Prinzip zu verstehen, muss man sich erst einem
gewöhnlichen Feuer nähern. Was brennt, ist nicht das Holz – es sind die
austretenden Gase. Damit diese aus dem Holz entweichen und zu brennen
beginnen, bedarf es hoher Temperaturen, die je nach Holzart variieren.
Bei einem offenen Feuer verpuffen deshalb viele Gase als Rauch. In einem
Holzvergaserherd entweicht das Gas unterhalb des Feuers, verbindet sich
mit Sauerstoff, steigt durch die Glut auf und verbrennt nahezu
vollständig. Wie der Kocher genau funktioniert, interessiert Jashoda
Panthari wenig. Für sie zählt das Ergebnis: Ihr Herd verbraucht 50
Prozent weniger Feuerholz.
Gerade mal acht Euro kostet so ein neuer
Herd. Das ist selbst im ländlichen Indien keine unmögliche Investition.
Zumal sie sich schnell rechnet. Der Wissenschaftler Karve ist deshalb
auch zu Recht stolz auf sein Produkt. Der Unternehmer Karve jedoch
wartet auf den Ansturm der Käuferinnen. Dass Karve zum Unternehmer
wurde, ist der Zusammenarbeit mit der Shell Foundation geschuldet. Die
in London registrierte Stiftung will sich als Global Player gegen die
Innenraumluft-Verschmutzung profilieren und investiert nach eigenen
Angaben rund 50 Millionen US-Dollar in fünf Ländern. Statt staatlicher
Subventionen soll es künftig der Markt richten.
„Die
Innenraumluft-Verschmutzung lässt sich nur lösen, wenn man die private
Wirtschaft beteiligt“, sagt Direktor Kurt Hoffman. Statt der rund 25 000
Herde und Biogas-Anlagen, die Karves Institut im vergangenen Jahr
verbreitet hat, peilt sein Unternehmen Arti nun zusammen mit dem neuen
Geldgeber Shell Foundation den Verkauf von 1,6 Millionen Herden an.
Deshalb
paukt Anand Karve Betriebswirtschaft und Marketing, Gefilde, in denen
er sich so wohl fühlt wie Frauen in ihren verrauchten Küchen. Wenn er
über die Schwierigkeiten spricht, mag man an den Erfolg des Ansatzes
nicht so recht glauben: „Viele Frauen wissen von unseren Herden nichts.
Für große Werbekampagnen fehlt uns jedoch trotz Unterstützung durch die
Shell Foundation das Geld“, erklärt Karve. Es ist ein mühseliges
Geschäft. Der Kauf eines Herdes genießt bei den Kundinnen keine
Priorität. Vielleicht, weil Frauen in Indien ihr Leid eisern erdulden
und ihre Männer das Geld verwalten. Verkaufen hat aber zudem etwas mit
Marketing und Design zu tun und der Fähigkeit, auch armen Inderinnen das
Gefühl zu geben, geschätzte Konsumentinnen zu sein. Diesen Zauber zu
erzeugen, das hat der Wissenschaftler Anand Karve nicht gelernt. Damit
ist er nicht allein.
Deepak Gadhia steht auf dem Dach der
Landwirtschaftsschule des Muni Seva Ashrams in Goraj im indischen
Gujarat. Die Treppe, zwei Stockwerke hinauf, hat den Mann mit dem runden
Bauch aus der Puste gebracht, ihm aber nicht die Laune verdorben.
Zehn
riesige Parabolspiegel bündeln hier oben die Sonnenstrahlen auf einen
Wasserkreislauf. Die Hitze verwandelt das Wasser zu Dampf. Der fließt zu
Jayasam Puvahit in die Küche. Der hagere Koch leitet den Dampf in
seinen doppelwandigen Kessel und kocht damit Reis und Gemüse. Das Essen
gart wie in einem Schnellkochtopf.
„An die Geschwindigkeit habe ich
mich erst gewöhnen müssen“, sagt Puvahit, „aber nun habe ich den Dreh
raus.“ An 300 Tagen kocht er nun für die 500 Mädchen der
Landwirtschaftsschule mithilfe der Sonne. Nur während des Monsuns kocht
er mit Kerosin und Feuerholz.
Rund 35 000 Euro kostet so eine Anlage.
Ein Drittel gibt der Staat, den Rest trägt der Ashram. „Die Investition
zahlt sich bereits nach drei Jahren aus“, sagt Deepak Gadhia. Der Inder
hat das Unternehmen Gadhia Solar Energy Systems gegründet und sich auf
den Verkauf von Solarkochern spezialisiert. Neben dem riesigen, nach
seinem deutschen Erfinder benannten Scheffler-Kocher verkauft er kleine
Solarkocher für Familien. Deren Design wirkt so futuristisch wie die
großen Spiegel. Bei ihnen wird das einfallende Sonnenlicht direkt unter
einem guss eisernen Topf gebündelt. Solarkocher brauchen keinen
Brennstoff, Sonne aber gibt es auf der südlichen Halbkugel genug.
Deshalb
gilt der Solarkocher gerade in Deutschland vielen als die beste Lösung.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine deutsche Schule oder
Entwicklungsinitiative stolz verkündet, sie habe wieder einige
Solarkocher nach Afrika oder Asien auf den Weg gebracht.
In den
Entwicklungs- und Schwellenländern teilt jedoch kaum einer den
Enthusiasmus des Nordens. Gerade mal eine Million Solarkocher gibt es
weltweit, doch viele stehen nur herum. „Jahrzehntelange Anstrengungen
haben dem Solarkocher nicht zum Durchbruch verholfen“, resümiert die
GTZ. Lediglich in den baumlosen Hochebenen Tibets und des Altiplano in
Südamerika hat sich die Technik etablieren können.
Warum aber
nutzen die Menschen diese Herde, die ohne Brennstoffe auskommen, nicht?
Weil die Menschen in vielen Regionen der Welt erst nach Sonnenuntergang
kochen und essen. Zwar könnten die Frauen auch früher kochen – dafür
aber müssten sie Stunden in der gleißenden Sonne stehen. Dazu kommt,
dass die Solarkocher nur bei direkter Sonneneinstrahlung funktionieren,
in vielen Ländern ist der Himmel jedoch oft wolkenverhangen. Die Frauen
müssen also auf Feuerholz zurückgreifen. Und deshalb sparen Solarkocher
im Durchschnitt nur 35 bis 40 Prozent Feuerholz ein und damit weniger
als andere Kochgeräte.
„Familien, die es sich leisten können, kochen
da lieber mit Gas und Kerosin“, sagt Klemens Schwarzer, Leiter des
Solar-Instituts in Jülich und gewiss kein Gegner der Sonnenenergie. Auf
dem Altinplano, der südamerikanischen Hochebene, wo die Sonne jeden Tag
auf baumlose Steppen scheint, installiert er solare Systeme, mit denen
die Menschen kochen und heizen können. Dort haben sie Sinn, in den
meisten Ländern jedoch nicht.
So steht der Solarkocher in einer
Tradition mit Wankelmotor und Magnetschwebebahn, die eine wunderbare
Zukunft verheißen und doch nie wirklich in der Gegenwart ankommen. Agnes
Klingshirn will dennoch nicht den Stab über die Technik brechen. Ihr
Potenzial sei dafür zu hoch.
Dirk Hoffmann sitzt im Schatten
einer Kokospalme. Der Deutsche blickt auf Fischerboote, auf Hütten aus
Bambus und Wellblech, die sich auf der philippinischen Insel Leyte bis
hinunter an den Strand ziehen. Der Mann mit den kurzen Haaren und den
blauen Augen ist Vizechef der internationalen Verkaufsabteilung der BSH
Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH. Auf den Philippinen hat er bisher nur
Küchen an die Mittel- und Oberschicht verkauft. Nun interessieren ihn
auch Bewohner wie die des kleinen Fischerdorfes Palhi.
Sein Interesse
hat viele Gründe. Einen hat der indische Ökonom C. K. Prahalad
formuliert: „Wenn wir aufhören, an die Armen als Opfer zu denken, und
anfangen, sie als Verbraucher zu behandeln, erschließen sich ganz neue
Möglichkeiten.“ Menschen, die mit Biomasse kochen, sind danach auch ein
großer Markt – den schon einige entdeckt haben. In Indien entwickeln BP
und Philips unterschiedliche Holzvergaserherde. Die
BSH setzt dagegen auf Pflanzenöl.
Das
Patent für den Pflanzenölkocher hat der Konzern gekauft und dessen
Erfinder von der Universität Hohenheim abgeworben. Und weil Hohenheim
gute Kontakte zur philippinischen Universität von Leyte pflegt, siedelte
der Münchener Haushaltsgerätekonzern sein Pilotprojekt auf der
bevölkerungsarmen, aber an Kokospalmen reichen Insel an.
„Mit dem
Kocher verfolgen wir vorrangig immaterielle Werte“, sagt Dirk Hoffmann,
ein Mann mit ehrgeizigen Zielen. Die BSH soll zu einem CO2-neutral
produzierenden Konzern werden, der seiner sozialen und ökologischen
Verantwortung gerecht wird. Mehr als drei Millionen Euro hat die BSH
inzwischen investiert und eine erste Dividende bei der Präsentation des
Kochers eingestrichen: Journalisten waren begeistert von dem Projekt.
Nun
aber muss der Hobby-Kletterer das Geschäft in Gang bringen und dafür
Vertriebswege aufbauen, er muss die Stückkosten reduzieren und der
Konzernspitze beweisen, dass er langfristig mehr erwirtschaften kann als
einen Image-Gewinn. An welchen Schrauben er dafür zu drehen hat, weiß
er genau. Produktion verlagern, teure Materialien ersetzen, Abläufe
optimieren.
Kerngeschäft, nennt Hoffmann das. Die Stückkosten hat er
in zwei Jahren bereits mehr als halbiert. Und doch muss er feststellen:
„Die Verkaufserlöse allein lohnen nicht das Engagement.“ Also wirft er
einen neuen Ball in die Luft: den Emissionshandel. Immerhin spare ein
Pflanzenölkocher im Jahr eine halbe Tonne Kohlendioxid. Bevor daraus ein
Geschäft werden kann, muss Hoffmann allerdings einen bürokratischen
Slalom durchlaufen, den der CDM Exekutivrat der Klimarahmenkonvention
auf Grundlage des Kyoto-Protokolls abgesteckt hat. Um
Emissionsreduktionen geltend zu machen, muss ein Projekt registriert,
genehmigt und beglaubigt werden. Und die Einsparungen von
klimarelevanten Gasen müssen sich auch beweisen lassen.
So ein
Marathon kostet viele Zehntausend Euro. Ist die Mess-Methode aber erst
einmal akzeptiert, kann sie für viele ähnliche Projekte angewendet
werden. Das ist ein riskantes Spiel mit Aussicht auf eine hohe
Dividende, das jedoch nur Sinn ergibt, wenn viele Zehntausend Kocher zu
so einem Projekt zusammengefasst werden. Gelingt das, haben Unternehmen
genauso wie Organisationen und staatliche Institutionen die Chance,
Herde zu verbreiten, ohne von Subventionen abhängig zu sein. Allerdings
gilt das nur, wenn dank eines solchen Projektes fossile Brennstoffe
durch erneuerbare ersetzt werden.
Wer den Brennstoff Holz einspart,
der geht bisher leer aus und ist auf den Markt mit freiwilligen
Zertifikaten angewiesen. Eine andere Schwäche: Viele arme
Entwicklungsländer und Entwicklungsorganisationen verfügen weder über
das Kapital noch über das Wissen, um solche Projekte durchführen zu
können. BSH hat beides. Ob Dirk Hoffmanns Kalkulation aufgeht, soll nun
ein Versuch in Indonesien zeigen. Doch auch seine Rechnung enthält zwei
Unbekannte: Erstens muss er den Kunden mit den Herden auch den
Brennstoff Pflanzenöl liefern. Und das dürfen keine Speiseöle sein,
deren Preise in die Höhe geschossen sind. Zudem muss sich, wer
Lebensmittel in Brennstoff verwandelt, heute harsche Kritik anhören.
Hoffmann setzt deshalb auf Öle aus Jatropha – Früchte, die für Menschen
ungenießbar sind – oder Rizinus.
Die andere Unbekannte ist, die
Nutzer selbst zu finden. Aber da fühlt sich Hoffmann auf sicherem
Terrain: den Markt analysieren, potenzielle Partner suchen, Interessen
abstecken. Kerngeschäft eben. An Fantasie dafür fehlt es ihm nicht.
Philippe
Simonis arbeitet in Afrika an Auswegen aus der Brennstoffkrise. Er
sagt: „Wenn wir etwas erreichen wollen, ist es mit ein paar Tausend
Kochern nicht getan. Vielmehr müssen wir die Mehrheit der Bevölkerung
erreichen.“ Der Belgier in deutschen Diensten steht im Schatten einer
Bananenstaude im Süden von Uganda. Auf kleinen Feldern wachsen hier
Bananen und Kakao, in dem fruchtbaren Boden gedeihen Mais, Bohnen,
Erdnüsse und Süßkartoffeln. Es grünt und wuchert, nur Bäume gibt es
keine.
Zusammen mit Claire Namukasa schaut Simonis zu, wie zwei
Arbeiter Erde, Gras und Wasser zu einer klebrigen Masse vermischen.
Daraus soll Namukasas neuer Herd entstehen. Mit der Masse formen die
Arbeiter einen klobigen Herd mit innovativem Design. In der Brennkammer,
von einem ehemaligen Nasa-Ingenieur entwickelt, verbrennt das Holz
besonders effizient. Im benachbarten Distrikt kochen inzwischen neun von
zehn Frauen mit dem neuen Modell. „Deshalb hat sich dort auch die
Brennstoffkrise entspannt“, sagt Philippe Simonis, der das Projekt zur
Förderung effizienter Kochenergie für die GTZ leitet. In den vergangenen
drei Jahren wurden mehr als 340 000 Herde gebaut. „Jeder spart 1,5
Tonnen Feuerholz pro Jahr ein und zusammen eine Waldfläche von 2500
Hektar. Diesen Erfolg sollen wir nun in elf weiteren Distrikten
wiederholen“, sagt Simonis. Kochgeräte zu liefern ist eine Möglichkeit –
Herdbauer auszubilden eine andere.
Die Technik ist eine
Voraussetzung für den Erfolg. Aber entscheidend sei es, sagt Simonis,
die Menschen zu erreichen. In Uganda hat die Deutsche Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ) deshalb nicht die Herde gebaut, sondern
mithilfe ugandischer Partnerorganisationen ein Bildungssystem errichtet,
das immer drei Bewohner eines Dorfes zu professionellen Herdbauern
ausbildet. Damit können sie pro Herd ein bis zwei Dollar verdienen.
Seitdem
beobachtet Philippe Simonis den immer gleichen Prozess: Am Anfang
herrscht Skepsis unter den Dorfbewohnern. Erst wenn sie mit eigenen
Augen sehen, dass der Herd auch hält, was er verspricht, tröpfeln die
ersten Bestellungen ein. Diese Phase dauere an, so Simonis, „bis wir
eine kritische Masse erreichen, die Stimmung kippt und plötzlich alle
den neuen Herd wollen“.
Agnes Klingshirn ist auf einem
bayerischen Bauernhof groß geworden. In der Frühe ist sie aufgestanden,
hat Holz geholt und mit kleinen Scheiten die Glut im Herd entfacht.
Damals hatten die Menschen zum Feuer einen unmittelbaren Bezug. Sägen,
hacken, stapeln, tragen, anfachen, sauber machen – so mancher war da
froh, als er mit Gas und Strom kochen durfte. Nun aber fehlt uns das
Feuer. Vom Holz über die Kohle hin zum Gas haben die Menschen in den
Industrieländern einen weiten Weg vom Land in die Stadt und zu neuen
Kochgewohnheiten zurückgelegt. Die Mythen sind dabei auf der Strecke
geblieben.
In Afrika, Asien und Lateinamerika aber sitzen noch viele
Menschen ums Feuer. Es wärmt und schützt vor wilden Tieren. Am Feuer
überliefern die Alten den Jungen die Geschichte. Das Feuer ist das Herz
der Familie. Die Küche ist deshalb ein intimer Ort, sagt Agnes
Klingshirn: „Zerbricht in Afrika eine Ehe, dann wird das
Drei-Steine-Feuer zerstört.“
Auch im Süden machen sich die Menschen
vom Land in die Stadt auf und lassen ihre Mythen zurück, in
Lichtgeschwindigkeit. Was manchmal bleibt, ist das Feuer. Es stiftet
Identität. Wer es domestizieren, durch abstrakte Energie ersetzen will,
rüttelt an Traditionen. Moderne Kochherde einzuführen ist deshalb ein
heikles Abenteuer, egal, ob es nun von Entwicklungsorganisationen,
Unternehmen oder Tüftlern betrieben wird. Je
größer die Not der
Menschen ist, desto williger folgen sie den Experten. Technik allein
führt jedoch in die Irre. Sie muss erschwinglich und bedienbar sein. Vor
allem aber muss sie den Menschen den Rauch nehmen, aber nicht die
Wärme.