Kleine Revolution

Laos hat ein riesiges Potenzial an erneuerbaren Energien und nutzt es bislang kaum. Dass sich auch mit Dorfelektrifizierung Geld verdienen lässt, beweist ein deutscher Unternehmer.

Hinter der Biegung, viele staubige Kilometer von der Nationalstraße entfernt, steht plötzlich ein Strommast am Wegesrand. Die sind im bergigen Norden des südostasiatischen Laos so rar wie Oasen in der Wüste. Doch keine Fata Morgana führt hier in die Irre. Der Mast riecht nach Harz, das schwarze Kabel glänzt.
Den Anfang nimmt die Leitung etwas weiter unten in dem engen Tal. Hier haben sie ein Staubecken in den Berg gesprengt, ein Dutzend Meter tief stürzt Wasser hinab und treibt eine Turbine an. Von dem kleinen Kraftwerk führt eine Stromleitung den Berg herauf, entlang der Straße bis nach Nam Kha – ein typisch laotisches Dorf wie tausend andere auch. Einige Dutzend Familien siedeln zwischen Hügeln und Bergspitzen. Auf grünen Wiesen grasen Wasserbüffel und Kühe, Frauen harken kleine Gemüsebeete. Mitten im Ort verzweigt sich die Stromleitung wie Äste eines Baumes. Ein Kabel endet an jedem Haus. Jetzt in der Abenddämmerung werfen Glühbirnen nacktes Licht in die zunehmende Dunkelheit.

Sonne ist billiger als Kerosin
Einige Männer sitzen bei Sing Sun, dem örtlichen Kioskbesitzer, sie schwatzen und lachen. Vor ihnen steht kaltes Bier, das Sing Sun aus seinem neuen Kühlschrank reicht. Kühles Bier ist für die Männer purer Luxus. Früher tranken sie es warm und wenn sie zusammen saßen, dann am Feuer oder bei Kerzenschein. Nun haben die 600 Einwohner Strom – für Licht, Reiskocher und Fernseher, für Reismühlen, Sägen und Eismaschinen. Wirklich ungewöhnlich aber ist: Den Strom liefert nicht der staatliche Monopolist Electricité de Laos (EdL), sondern ein privates Unternehmen. Das kommt im streng sozialistischen Laos einer Revolution gleich.
Einer der ‚Revolutionäre’ trägt Mütze, Jeansjacke und ein schwarzes Hemd. Andy Schröter spricht laotisch schneller als seine deutsche Muttersprache und genießt, zusammen mit den Dorfbewohnern, das abendliche Bier. 1996 ist er nach Laos gekommen, hat für eine deutsche Entwicklungsorganisation gearbeitet und dann im August 2001 seine Firma Sunlabob gegründet, die seitdem erneuerbare Energiesysteme vertreibt.
Andy Schröter gleicht eher einem vor Ideen sprühenden Tüftler, denn einem Kapitalisten. Der hagere Deutsche ist jedoch auch Unternehmer, der das Machbare nicht aus den Augen verliert. Mit erneuerbaren Energiesystemen Geld zu verdienen, ist nicht einfach in einem Land, das seine Investitionen vornehmlich aus Entwicklungsgeldern tätigt und dessen Bewohner selten Geld genug haben, sich etwa ein kleines Solar-Panel (Solar Home System) für ihre Hütte kaufen zu können.
Sunlabob liefert deshalb vor allem an Entwicklungshilfsorganisationen, begnügt sich damit aber nicht. Um weitere Märkte zu erschließen, hat Schröter begonnen, Regenerativanlagen langfristig zu vermieten. Inzwischen hat Sunlabob nach eigenen Angaben fast 1.900 solare Kleinstanlagen und 500 Solarlampen an den Nutzer gebracht.
Dass dieses Mietmodell funktioniert, verdankt Schröter einem Franchise-System, das er in den vergangenen sechs Jahren aufgebaut hat. Die Franchise-Partner, allesamt von Sunlabob ausgebildete Laoten, leben wo auch die Kunden leben. Sie verkaufen oder vermieten Anlagen, warten und reparieren diese, weil sie am Umsatz beteiligt sind. „Funktioniert die Anlage nicht, verdienen sie kein Geld“, schildert Schröter das Prinzip. Das ökonomische Eigeninteresse bilde die beste Gewähr, dass die Anlagen regelmäßig gewartet würden.
Bei Sunlabob muss ein Nutzer für eine 20-Watt-Anlage samt Wechselrichter und Batterie 35.000 Kip, rund 2,80 Euro, monatlich bezahlen. Das ist nicht wenig in einem Land, in dem jeder Dritte gerade mal einen Euro am Tag zur Verfügung hat. Doch Kerzen, Kerosin und Batterien kosten auch Geld. Mit vier bis fünf Euro geben Landbewohner monatlich fast doppelt so viel für Energie aus wie für das Kleinstkraftwerk fällig werden. Sonnenstrom ist billiger – und deshalb konnte Schröters Unternehmen auch ohne staatliche Zuschüsse erfolgreich sein.

Neu: Privater Stromanbieter fürs Dorf
Zu schaffen macht dem engagierten Geschäftsmann allerdings die Konkurrenz von Förderprogrammen. Die Weltbank finanziert etwa ein Programm zur Verbreitung von Solar Home Systemen. In einem ersten Schritt hat sie 6.000 Kleinstpanele vergeben, in einem zweiten Schritt sollen 10.000 folgen. Der gewählte Ansatz ähnelt dem von Sunlabob. Auch hier erhält der Nutzer ein Komplett-Paket, zahlt dafür inklusive Wartung jedoch mit 80 Eurocent pro Monat deutlich weniger. Ein Preis, so ist zu hören, der deswegen möglich sei, weil die Weltbank als Entwicklungsorganisation Steuervorteile genießt. Einen Nachteil haben die Kunden aber: Geht eine Batterie oder eine Komponente kaputt, muss sie der Nutzer aus eigener Tasche bezahlen. „Auf lange Sicht fahren die Kunden mit unserem Mietansatz günstiger, weil wir die Anlagen regelmäßig warten“, glaubt Schröter.
Inzwischen stapeln sich in seinem Schreibtisch mehr als 1.800 Mietanträge. Die hat er aus Kapitalmangel lange nicht bedienen können. Nun aber hat er die Netherlands Development Finance Company (FMO) sowie die Triodos-Bank, Europas führende Bank für ethisch-ökologische Investments, von seinem Geschäftskonzept überzeugt. Sie gewähren dem Deutschen einen Kreditrahmen, mit dem er weitere 15.000 Solar Home Systeme vermieten kann. Für zusätzlichen Schwung könnte sorgen, dass Schröter kürzlich den britischen Ashden Award for Sustainable Energy verliehen bekam.
Die Stromversorgung kleiner Kommunen soll ein weiteres Geschäftsfeld seines 34-Mann-Betriebs werden. Dazu kooperiert Sunlabob in Nam Kha mit dem Schweizer Unternehmen Entec, führend bei der Planung und Errichtung von Kleinwasserkraftanlagen, sowie Helvetas.
Die Schweizer Entwicklungsorganisation trägt in Nam Kha die Kosten für die fixe Infrastruktur, also Stromnetz und die Renovierung des Staubeckens sowie die Schulung der Dorfbewohner, während Entec und Sunlabob alle variablen Elemente finanzieren. Dazu zählen eine 12 Kilowatt-Turbine, eine zwei Kilowatt starke Photovoltaik-Anlage, ein Generator sowie ein Diesel-Aggregat. Eine von Entec entwickelte Software steuert alle drei Energiequellen und ruft automatisch die billigste ab. Erst bei Spitzenlast und während der dreimonatigen Trockenzeit springt das Dieselaggregat an.
Ökonomisch betreten die Partner in Nam Kha Neuland. Denn sie liefern nicht nur die Anlage, sondern sind zugleich Stromanbieter. „Das ist in der ländlichen Energieversorgung weltweit einmalig“, glaubt Schröder. Für die Dorfbewohner habe das Vorteile, erklärt Ruedi Lüthi von Helvetas. „Stromnetz wie Staubecken bleiben im Besitz der Kommune. Sie können also den Stromanbieter jederzeit wechseln“, sagt der Büroleiter der Schweizer Organisation. Eine Option, die natürlich erst greifen kann, wenn neben Sunlabob weitere Anbieter in dieses Segment investieren. Außerdem bezahlen die Bewohner ausschließlich für die gelieferte Strommenge. Daraus erwächst für den Anbieter ein notwendiger Druck. „Wir verdienen nur, wenn wir rund um die Uhr Strom liefern“, erklärt Andy Schröter. Das erfordert eine regelmäßige wie gründliche Wartung. Gerade an diesem Punkt hapert es aber oft bei Projekten der ländlichen Elektrifizierung. Viele Solar Home Systems, Biogasanlagen oder auch Wasserturbinen liegen wegen schlechter Wartung und fehlenden Ersatzteilen nach wenigen Jahren brach.

Wasserkraft: Großprojekte für den Export
Das privat-öffentliche Modellprojekt Nam Kha soll zeigen, dass es anders geht. Ein solches Exempel wird auch dringend benötigt. Denn 41 Prozent der Laoten sind, so das Lao National Committee for Energy, noch immer nicht ans Stromnetz angeschlossen. Wie diese künftig Strom erhalten sollen, hat die sozialistische Regierung des Landes bereits vor Jahren in einem Plan skizziert. Bis 2020, so der Wille der Landesoberen, sollen neun von zehn Laoten mit Strom versorgt sein. Auch wenn die Finanzierung nicht geklärt ist, wissen die Verantwortlichen bereits: Die meisten Familien sollen ans Stromnetz angeschlossen, 150.000 jedoch mit netzunabhängigen Systemen versorgt werden.
„Wir setzen hauptsächlich auf Wasser, Biodiesel und Photovoltaik“, sagt Davong Phonekeo, stellvertretender Direktor im Energieministerium. Davon hat Laos mehr als genug. Allein die Wasserkraft könnte – so Phonekeo – über 20.000 Megawatt (MW) Strom liefern. Hinzu kommen die riesigen Wälder und ungenutzte Flächen, die sich für Energiepflanzen wie Jatropha bestens eignen.
Diese Potenziale liegen freilich alle brach. Dem Land fehlt das Kapital. Auch weil die sozialistische Regierung die Stromtarife bewusst niedrig festsetzt. Sieben Tarife gibt es: Sie variieren zwischen einem und sechs Eurocent; wer ans Netz angeschlossen ist zahlt in der Regel nicht mehr als einen Cent pro Kilowattstunde. Damit kann die staatliche Electricité de Laos kaum Rücklagen für Neuinvestitionen bilden. Der niedrige Strompreis schreckt aber auch potenzielle Geldgeber ab, die lieber in den Nachbarstaaten investieren, wo der Strompreis viel höher liegt.
Eine Ausnahme gibt es: Für Kraftwerke, die für den Export produzieren, finden sich Investoren. Strom soll einmal Devisenquelle Nummer eins des asiatischen Binnenlandes werden. Deshalb treibt die Regierung den Ausbau der Wasserkraft voran. In einer offiziellen Liste finden sich 59 Neubauprojekte, für 37 davon wurden bereits Verträge bzw. Memorandum of Understandings (Mou) unterzeichnet, für weitere 22 werden gerade Machbarkeitsstudien erstellt. Nur ein kleiner Teil davon wird Laos selbst mit Energie beliefern: Ganz oft stehen die Namen Thailand und Vietnam in der Spalte „planned market“.
Vier Großprojekte von 76 MW aufwärts sind derzeit im Bau. Das größte und umstrittenste, Nam Theun II, mit einer Leistung von 1.088 MW, geht planmäßig 2009 ans Netz. Fünf Prozent des hier produzierten Stroms soll zur ländlichen Elektrifizierung genutzt, 95 Prozent des Stromes nach Thailand exportiert werden. Der thailändische Stromversorger Egat garantiert die Abnahme über 25 Jahre hinweg zu einem festen Strompreis, der bei rund 4,44 US-Cent pro Kilowattstunde liegen soll. Die Produktionskosten für die Kilowattstunde soll laut UNIDO bei geschätzten 1,4 Cent liegen.
Getragen wird das Projekt von vier zu je 25 Prozent beteiligten Partnern. Dazu gehören die Electricité de France (EDF), die Italien-Thai Development Public Company (ITD), die thailändische Electricity Generating Public Company (EGCO) sowie die Staatliche Lao Holding Stare Enterprise (LHSE). Gemeinsam finanzieren sie die auf 1,45 Milliarden US-Dollar veranschlagten Baukosten. Trotz zahlreicher Proteste von Umweltorganisationen fördert die Weltbank das Projekt unter anderem durch die Übernahme von Bürgschaften. Die 39 Meter hohe Staumauer wird einmal den Nam Theun-Fluss aufstauen, ein Gebiet von 450 Quadratkilometern überfluten und damit 40 Prozent des Nakai Plateaus, das für seinen Reichtum an Pflanzen- und Tierarten bekannt ist. Nam Theun II eingeschlossen sind derzeit Wasserkraftwerke mit einer Gesamtleistung von gut 2.000 MW im Bau.

Jatropha: Ziele, aber kein Plan zur Umsetzung
Dass ihr Land auch große Potenziale bei Wind- und Solarenergie hat, wissen die Regierungsbehörden in der Hauptstadt Vientiane. „Wir können aber kein Erneuerbare Energien Gesetz wie Deutschland finanzieren“, betont Bouathep Malaykham, Leiter der Abteilung für ländliche Elektrifizierung im Energieministerium. Investoren könnten allerdings mit Steuererleichterungen rechnen und im ländlichen Raum einen höheren Strompreis vereinbaren. Generatoren mit einer Leistung unter 500 KW und Wasserturbinen unter zwei MW ließen sich ohne staatliche Lizenz errichten, die Bedingungen würden mit der zuständigen Provinzregierung verhandelt, so Malaykham.
Das sind keine guten Ausgangsbedingungen für einen Ausbau, etwa der Windkraft. Und so weist zwar der von der Weltbank finanzierte Windatlas gute bis sehr gute Windverhältnisse für Zentrallaos aus, detaillierte Studien aber fehlen.
Zumindest für Biomasse hat die Regierung Zahlen errechnet: In den Schreibtischen des Energieministeriums liegt ein Konzept, dem Dieselkraftstoff künftig acht Prozent Biodiesel beizumischen. Eine wichtige Rolle soll dabei Jatropha spielen, jenes Wolfsmilchgewächs, das laotische Bauern seit Urzeiten zur Einfriedung ihrer Höfe und als Begrenzung ihrer Felder nutzen. Wie Jatropha allerdings im großen Maßstab als Energiepflanze genutzt werden soll, dazu gibt es im Energieministerium weder Richtlinien noch einen zuständigen Ansprechpartner.
Andy Schröter hingegen hat bereits klare Vorstellungen. „Wir wollen Jatropha als eine alternative, dezentrale Energiequelle erschließen“, erklärt der Deutsche. Bis es soweit ist, müssten allerdings einige Fragen geklärt werden: „Wie können wir gutes Saatgut gewinnen? Wie kann man qualitativ, gleich bleibend gutes Öl daraus pressen? Und soll dieses zu Biodiesel verarbeitet oder als Öl verwendet werden?“, nennt er nur einige. Beantworten soll sie das im August 2006 gegründete Lao Institute für Renewable Energy (Lire). „Unser Ziel ist es, alle an der Pflanze interessierte Unternehmen, Organisationen und Regierungsstellen unter einem Dach zu verknüpfen“, sagt Institutsleiterin Souliya Nanthavong. Gründungsmitglied Schröter geht einen Schritt weiter. Mit den Gouverneuren von zwei Provinzen und rund 238 Gemeinden hat Sunlabob Memoranden verabschiedet, die den Bauern einen Preis von 55 US-Dollar pro Tonne Jatrophanüsse garantieren. „Wir wollen keine Plantagenwirtschaft, sondern fördern den kleinflächigen Anbau. Das ermöglicht den Bauern zusätzliche Einkommen“, sagt Andy Schröter. Auch bei der Nutzung plädiert der Deutsche für einen dezentralen Ansatz. „Es macht im bergigen Laos keinen Sinn, die Nüsse aus dem ganzen Land an eine Stelle zu karren, um daraus Biodiesel zu gewinnen“, sagt Schröter. Deshalb will er das Öl vor Ort verwenden, zum Beispiel um daraus Energie zu gewinnen.
Nam Kha soll einmal mehr Demonstrationsobjekt sein. Bereits im zweiten Jahr pflanzen die Bauern Jatropha an. Spätestens in einem Jahr soll das erste Öl aus den Nüssen gepresst werden, „um damit unser Dieselaggregat betreiben und die Dorfbewohner mit Strom versorgen zu können“. Dafür muss das Dieselaggregat modifiziert werden. Sunlabob kooperiert hier mit den Vereinigten Werkstätten für Pflanzenöltechnologie (VWP) aus dem bayrischen Allersberg wie dem Verein Pilot Pflanzenöltechnologie Magdeburg. Gelingt der Umbau, wäre Nam Kha zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt.
Noch muss das Musterdorf beweisen, dass dieses Modell wirtschaftlich funktioniert. Die Erfahrungen der ersten Monate stimmen Andy Schröter optimistisch. „Die Leute verbrauchen mehr Strom als wir erwartet haben und sie bezahlen pünktlich“, sagt der Deutsche.
Inzwischen haben Helvetas, Entec und Sunlabob drei weitere Projekte angeschoben. Eins davon - Nam Kha II – liegt weiter unten im Tal und fußt ebenfalls auf einem Energiemix aus Wasser, Sonne und (Bio-)Diesel. Nam Kha II soll einmal sechs Gemeinden mit insgesamt 550 Familien mit Strom beliefern und zusammen mit Nam Kha I ein regionales Stromnetz bilden.
Der Anfang also ist gemacht. Sollten die Erfahrungen positiv bleiben, dann könnte die kleine Revolution in den laotischen Bergen alsbald weit darüber hinaus wirken.