Ein Dorf bekommt Licht

Der Internet-Anschluss fehlt noch. Aber nun hat das bolivianische Hochlanddorf Iruparque auf dem Altiplano endlich Strom.


Kaum öffnet sich die Autotür, regnet es Konfetti. Zwei ältere Männer spielen Blockflöte, einer schlägt eine Trommel, die Menschen lachen fröhlich. Unter mehreren bolivianischen Flaggen führen die Bewohner des Andendörfchens Iruparque ihren Besuch von der Fernstraße hinunter zu dem mit bunten Wimpeln festlich geschmückten Dorfplatz. Der Blick ist weit, hier auf viertausend Metern Höhe im Altiplano. In der Ferne leuchten die schneebedeckten Hügel. Dort haben sich schon gut sechs Dutzend Menschen auf Stühlen kreisförmig unter freiem Himmel versammelt. Alle sind festlich gekleidet, die Männer in Sonntagsanzügen, die Frauen in bunten traditionellen Kleidern. Sie warten darauf, dass es los geht mit der Zeremonie für einen der wichtigsten Tage in der Geschichte ihres wenige Dutzend Seelen-Dorfes. 30 Familien leben in Iruparque – heute bekommen sie endlich Strom.
Iruparque liegt auf fast viertausend Metern Höhe auf dem Hochplateau der Anden nicht weit vom Titicacasee und dem Dorf Tiwanaku. Den Aymara, der mit etwa 25 Prozent Bevölkerungsanteil zweitgrößten indigenen Gruppe Boliviens, gilt Tiwanaku als die Wiege ihrer Kultur. Es ist kein Zufall, dass sich Präsident Evo Morales Ayma ausgerechnet hier zum bolivianischen Präsidenten küren ließ. Er ist der erste indigene Präsident Boliviens und Aymara. Der Staatsakt an dieser historischen Stätte war auch ein symbolischer Akt dafür, dass die Indigenen mit ihrem Präsidenten angetreten waren, um „500 Jahre Diskriminierung zu beenden“
Dieser Stolz steht heute auch in den Augen von Boris Alemachi geschrieben. Im Hintergrund spielen die Blockflöten, während der alte Landwirt mit strahlenden Augen erzählt, dass er nachts nun Licht in der Hütte hat und sich vorlesen lassen kann. Beim Interview zieht er das Mikrofon des Reporters dicht an den Mund, damit auch nichts verloren geht, wenn er antwortet. Boris Alemachi spricht kein Spanisch, nur Aymara. „Wir sind alle sehr glücklich, dass wir endlich Strom haben“, sagt er und zeigt auf die nackte Glühbirne in seinem Haus. Vier Häuser stehen um einen Innenhof zusammen. In ihnen leben seine Kinder und Enkel.
Die Lobes- und Dankesreden auf dem sonnigen, von keiner Wolke getrübten Dorfplatz ziehen sich über Stunden. Jeder will etwas sagen – und jeder muss etwas sagen. Vor allem darf keiner vergessen werden. Und so reden alle und danken allen: der Bürgermeister dem Energieunternehmen, das Energieunternehmen der GTZ, die GTZ den Dorfbewohnern und der Justizminister dem Bürgermeister. Keiner vergisst niemanden. Eine prächtig in einen zartgrünen Rock und eine rosa Bluse gekleidete Frau mit dem im Hochland typischen runden Zylinderhut auf dem Kopf nimmt ein Paket und öffnet es vor den Augen ihrer Nachbarn. Zum Vorschein kommen zwei Straßenlaternen, die die vermögende Frau ihrem Dorf schenkt. „Jetzt können wir uns abends besser besuchen“, freut sich der Bürgermeister Daniel Delgado Quispe.
Dann schneiden die Honoratioren, alle im traditionellen roten Poncho der Aymara gekleidet, gemeinsam ein Band durch und eine Glühbirne fängt an zu leuchten: Der Strom fließt nun auch durch Iruparque. Danach entzünden sie Schnaps und Cocablätter in einem kleinen mit getrocknetem Lama-Dung entfachten Feuer. Es ist die Opfergabe für Pachamama – der in allen Anden-Kulturen als Göttin verehrten Mutter Erde.
Mit dem Strom wird alles anders. Ab heute werden sie nach Sonnenuntergang nicht mehr im Dunkeln sitzen wie all die Jahre zuvor. Nun haben die Bewohner die Wahl. Sie können ruhen oder aktiv bleiben. „Wir wollen den Strom nutzen, um Radio zu hören und fernzusehen und vor allem, damit unsere Kinder besser lernen können“, sagt Bürgermeister Quispe. Der umtriebige Mann hat bereits das nächste Projekt im Blick: „Ich hoffe, dass wir bald auch Internet bekommen“, sagt Daniel Delgado Quispe.