Die kleinen Bauern beteiligen

Das brasilianische Biodiesel-Programm ersetzt fossilen Diesel durch Biodiesel und verbessert gleichzeitig die soziale Lage von Kleinbauern. Die GIZ hat das Programm von Anfang an unterstützt.

Der Anbau von Energiepflanzen ist umstritten - in Brasilien nicht. Dass der Anbau von Energiepflanzen auch Kleinbauern zu mehr Einkommen verhelfen kann und ihre Existenz absichert, zeigt das Biodiesel-Programm der brasilianischen Regierung. Denn mit Hilfe eines Sozialsiegels werden Kleinbauern auf vielfältige Weise gefördert und damit die alten Herrschaftsstrukturen im Nordosten des Landes aufgebrochen. Expertise für dieses ungewöhnliche Programm hat die deutsche GIZ beigesteuert.

„Mit Hilfe des Biodiesel-Programms verdienen allein in diesem Jahr  über 100.000 Kleinbauernfamilien, die Hälfte allein im Nordosten Brasiliens 20 Millionen Euro zusätzlich“, sagt Marco Antonio Leite. Pro Familie sind das im Nordosten knapp 300 Euro und damit viel Geld für die Farmer dort. Der Koordinator des Nationalen Biodieselprogramms im Ministerium für Agrarentwicklung (MDA) – es ist im Gegensatz zum Landwirtschaftsministerium vor allem für die Belange der Kleinbauern zuständig -  steht in seinem neuen Büro zwischen Kisten, Druckern und Bildschirmen. Das 2003 gestartete Programm wächst und damit die Zahl der Mitarbeiter. Da bleibt Chaos nicht aus.
Marco Antonio ist stimmgewaltig und selbstbewusst und rast von einem Termin zum andern. Er gehört zu jener neuen brasilianischen Beamtenschicht, die an die Veränderbarkeit der überkommenen Strukturen im ländlichen Raum glaubt – wenn man genügend Geld in die Hand nimmt und das Ganze intelligent anstellt.
Deshalb hat das Biodiesel-Programm eine energetische und eine soziale Zielrichtung. Zum einen will die Regierung Agrotreibstoff produzieren und die Importe von Diesel sowie die Emissionen reduzieren. Zum anderen soll das Programm die ökonomische Lage von Kleinbauern verbessern.

Sozialsiegel regulieren den Markt
Der Markt für Biodiesel ist groß. 1,6 Milliarden Liter wurden 2009 produziert, rund 450 Millionen Euro damit umgesetzt. Die Mengen übertreffen die Erwartungen. Schon seit Anfang 2010 mischt Brasilien dem Diesel fünf Prozent Biodiesel bei, drei Jahre früher als prognostiziert. Noch sind es die großen Sojaproduzenten, die den größten Teil für das Biodieselprogramm beisteuern. „Wir wollen diese Abhängigkeit reduzieren, vor allem aber auch den Anteil der Kleinbauern steigern“, sagt Leite. „Das geht nur, in dem wir ihnen bessere Marktchancen einräumen, sie aber auch bei Produktion und Organisation beraten.“
Dazu gehört aber auch die staatliche Kontrolle über den Handel der Rohstoffe. Wer Biodiesel produzieren will, muss die Genehmigung in staatlichen Auktionen erwerben. Dazu gehört auch ein Sozialsiegel, dass das Ministerium an Produzenten vergibt. Biodieselhersteller mit Sozialsiegel werden bei den Auktionen bevorzugt und erhalten Steuervergünstigungen für die bei Kleinbauern erworbenen Rohstoffe.
Inzwischen besitzen 27 von 45 Biodieselherstellern das Sozialsiegel. Dafür müssen diese Unternehmen je nach Region bis zu 30 Prozent der Rohstoffe bei Kleinbauen einkaufen und diese beraten.
Damit will die Regierung die Produktion der Kleinbauern ankurbeln. Dazu müssen diese aber erst einmal befähigt werden. Die Zusammenarbeit mit den Kleinbauern ist deshalb ein weiterer wichtiger Pfeiler des Programms. Um sie effizient beraten zu können, baut das Programm Produzentengruppen auf, schult diese durch Agrartechniker und vernetzt die regionalen Akteure – staatliche Stellen, Genossenschaften, Gewerkschaften, Biodieselproduzenten – untereinander.
Bei dieser Aufgabe unterstützt die GIZ das Ministerium. So hat die GIZ im Nordosten Multi-Stakeholder-Prozesse in Gang gesetzt. An diesen runden Tischen tauschten sich Entwicklungsbanken, Kommunen, Kleinbauern, Gewerkschaften und Biodieselunternehmen aus. „Diese Prozesse haben gerade die Bauern darin bestärkt, ihre Nöte, ihre Wünsche und Bedürfnisse besser zu kommunizieren und ihren Sorgen auch gerecht zu werden“, sagt Stefan Görtz, bis Juni 2010 für den GIZ, seitdem für das MDA tätig. Dazu gehörte auch die Schulung der Kleinbauern. Für diese Aufgabe hat die GIZ mit Energiegiganten Petrobras eine entwicklungspolitische Partnerschaft (PPP) mit dem Ziel geschlossen, die Schulung der Kleinbauern durch speziell ausgebildete Agrartechniker zu koordinieren.
Bisher produzieren viele Kleinbauern in Subsistenzwirtschaft oder verkaufen ihre Produkte für wenig Geld an Zwischenhändler. „Indem wir die Bauern sowohl bei der Produktion als auch bei der Organisation beraten, steigern wir nicht nur ihre Produktivität, sondern können gerade im Nordosten auch ihre Abhängigkeiten von den lokalen Eliten auflösen“, sagt Ingo Melchers von der GIZ.
Deshalb verpflichtet das Biodiesel-Programm die Aufkäufer dazu, mit den Bauern und ihren Genossenschaften direkte, transparente Verträge abzuschließen. Außerdem muss ein solcher Vertrag, um gültig zu sein, von der Landarbeitergewerkschaft gegengezeichnet werden. „Das hat viele Vorteile. Wir schalten Zwischenhändler aus und stellen sicher, dass die Bauern nicht über den Tisch gezogen werden“, sagt Stephan Görtz von GIZ.

Feste Preise für Rizinus
Ortswechsel. Die Stadt Quixada im Bundesstaat Ceara liegt vier Autostunden südwestlich von Fortaleza. In der hügeligen Landschaft wechseln sich in die Höhe ragende Gesteinshaufen mit Buschland und Weideflächen ab. Dem Boden etwas abzuringen, ist schwer. Davon weiß Francisco Eusimar Avelino ein Lied zu singen. Sein Land liegt etwa 20 Kilometer außerhalb der Stadt. Er pflanzt Bohnen und Mais. Nun sprießen alle drei Reihen auch Rizinusblätter in die Höhe. „Wir bekommen das Saatgut von Petrobras und die Stadtverwaltung pflügt uns vor der Aussaat den Boden mit dem Traktor um“, zählt der Familienvater einige der Vorteile des Programms auf.
Der hagere Mann ist erst 34 Jahre und, doch die Arbeit auf den Feldern haben in seinem Gesicht schon markante Züge hinterlassen. Inzwischen ist er mit 1.600 anderen Bauern der Region in einer Genossenschaft organisiert. „Die Genossenschaft handelt gute Verträge für uns aus und macht sich für unsere Interessen stark“, sagt Francisco Eusimar Avelino. Rizinus hat seine Vorteile: „Die Pflanze braucht nicht viel Wasser und hält auch die regelmäßig auftretenden Zwischendürren aus.“ Vor allem aber erhält er einen festen Preis – egal, wie viel er erntet. „Wenn wir viele Bohnen ernten, verfällt meistens der Preis. Für Rizinus hingegen erhalten wir einen festen, vorher festgelegten Preis“, sagt der 34-Jährige.
Die gute Ernte von 2009 hat weitere Bauern ermutigt, selbst Rizinus anzubauen. „Die anfänglichen Schwierigkeiten durch schlechtes Saatgut und späte Aussaat haben wir inzwischen überwunden“, sagt Stephan Görtz vom GIZ. Startete das Projekt mit 16.000 Farmern, so sind es 2010 bereits über 100.000 Familien. Ob diese Entwicklung anhält, ist nicht vorherzusagen. Die Gefahr von Monokulturen aber existiere nicht, sagt Stephan Görtz. „Denn die Flächenproduktivität im Mischanbau ist viel größer.“

Falsche Kritik
Während die brasilianische Regierung das Programm lobt, wurde es in Deutschland in der Vergangenheit kritisiert. Das Programm erreiche nicht die „rosaroten Versprechungen der Rizinuslobby“, zudem seien mehrere tausend Hektar Wald dafür eingeschlagen worden, hatte ein Journalist geschrieben.
Harsche und vor allem falsche Kritik, sagt Ingo Melchers. Die anfänglichen Schwierigkeiten seien längst überwunden. „Wenn der Regen jedoch wie seit einigen Jahren ausbleibt oder geringer ausfällt, ernten die Bauern naturgemäß weniger.“ Der Vorwurf des Waldeinschlags wiegt aus Sicht von Ingo Melchers besonders schwer. „Er ist vollkommen aus der Luft gegriffen.“
Die Kritik sieht er im Zusammenhang mit einer in Deutschland emotional geführten Debatte um die Konkurrenz zwischen Lebensmitteln und Agrotreibstoffen und den daraus wachsenden Druck auf die verbliebenen Urwälder. „Diese Diskussion ist wichtig, aber die holzschnittartig vorgebrachten Vorwürfe treffen insbesondere auf das Biodiesel-Programm nicht zu“, sagt Ingo Melchers.
Gerade Kleinbauern profitierten am meisten. „Mit dem Anbau von Ölpflanzen sichern sie ihr Einkommen ab, verdienen mehr und befreien sich aus den ehemaligen Abhängigkeiten“, argumentiert Melchers. Die kleinbäuerlichen Strukturen wiederum verhindern das Entstehen von Monokulturen. Je schneller es gelingt, den Anteil der Kleinbauern an der Biodieselproduktion zu steigern, desto schneller kann man den Anteil von Monokulturen senken, sagt auch der Nationale Koordinator für Biodiesel, Marco Antonio Leite: „Wir wollen die biologische Vielfalt in unserem Land schützen und deshalb den Anteil von Soja zurückdrängen.

Mindestens genauso wichtig ist dem Biodiesel-Koordinator, dass sich die Kleinbauern organisieren und mithilfe der Genossenschaften und Gewerkschaften „auf Augenhöhe mit den Unternehmen“ verhandeln können. Mit der Produktion von Pflanzenölen verfügen sie über eine zusätzliche Option und damit über mehr Sicherheit. Das sei auch Verdienst der deutschen Entwicklungsarbeit. Es ist ein finanzielles Pfund, mit dem die Regierung auch politisch wuchern kann, gibt Biodieselkoordinator Maro Antonio Leite unumwunden zu. „Die Deutschen haben uns mit ihrer Hilfe den Nordosten geöffnet.“