"Ich will die Wir-Gesellschaft"

Ein Reicher, der mehr Steuern zahlen will: Peter Krämer streitet für mehr soziale Gerechtigkeit - in Deutschland und Afrika.

Herr Krämer, macht Geld glücklich?
Nein, natürlich nicht.

Was macht denn glücklich?
Ich glaube, man empfindet Glück, wenn man einen tieferen Sinn in seinem Leben gefunden hat. Glück bedeutet für mich, wenn ich etwas von meinen Träumen umsetzen kann. Wenn ich etwas ganz Großes machen kann - wie dieses Schulprogramm für Afrika, das ich vor etwas mehr als einem Jahr entworfen habe. Heute kann ich sagen: In 14 Ländern wird inzwischen für Schulen für Afrika geworben, es ist eine weltweite Kampagne für Afrika daraus entstanden. Bis heute sind inklusive meines Geldes gut zehn Millionen Euro zusammen gekommen. Ich habe nie Spaß am Kleinen gehabt, sondern immer nur vom Großen geträumt.  So gesehen bin ich wohl immer noch ein Stückchen Kind geblieben.

Wann hat man das Gefühl: Jetzt reicht das Geld für mich und meine Familie. Ab fünf, ab zehn oder zwanzig Millionen?
Ich habe ja kaum privates Geld.

Jetzt kokettieren Sie aber.

Ich führe ein gutes, teilweise sehr gutes privates Leben, aber das meiste Geld steckt in meinen Unternehmen. Wenn Sie das Unternehmen so gesund gemacht haben, dass Sie - abgesehen von wirklich unvorhersehbaren Katastrophen – sagen können, in 20 Jahren wird dieses Unternehmen noch mich, meinen Sohn und alle Angestellten ernähren, dann hat man genug verdient, dass man sich überlegen kann, was kann ich für andere, im Sinne von Gerechtigkeit tun. Das ist keine bestimmte Summe, das ist immer individuell zu sehen. Ein kleines mittelständisches Unternehmen kann das vielleicht schon bei einer Million Euro sagen. Bei einer Reederei mit 35 Schiffen, von denen zehn mir allein gehören und die anderen unterschiedliche Beteiligungen haben, da bedarf es schon eines größeren Polsters.

Merken Sie einen Unterschied zwischen acht oder neun Millionen Euro?

Nein, natürlich nicht. Es gibt einen Unterschied zwischen zehn und hundert Millionen – vor allem gegenüber den Banken, von denen man als Mittelständler auch in Krisenzeiten nicht abhängig sein sollte. Ich habe in diesem Jahr ein Schiff zu teuer gekauft. Der Markt ist runter gegangen, und da werde ich wahrscheinlich an diesem einzigen Geschäft zehn Millionen Euro verlieren. Wenn ich so was vier, fünf Mal hintereinander machen würde, dann hätte auch ich Probleme. Von nichts, kommt nichts. Wenn ich vor zwei, drei Jahren gesagt hätte: „Ich bin jetzt zufrieden mit dem, was ich hab, ich investiere nichts mehr“ - dann hätte meine Firma inzwischen nur noch 40 Prozent ihres heutigen Wertes.

Sie arbeiten täglich mit Summen, die für 99 von 100 Menschen jenseits der Vorstellungskraft liegen. Was geht Ihnen da durch den Kopf, wenn Sie über soviel Geld verfügen können?

Schifffahrt gut zu betreiben - das ist verantwortliches Spekulieren mit viel Geld. Verantwortlich - weil man sich vorab natürlich so informiert, dass man am Ende hoffentlich richtig liegt. Trotzdem bleibt es Spekulation, weil es letztlich nie Gewissheit gibt. Das alles hat etwas Spielerisches, und das macht natürlich auch Spaß.

Sie haben in den vergangenen zwei Jahren drei Millionen Euro für Schulen in Afrika gespendet. Ihre „Hamburger Stiftung für Demokratie und internationales Völkerrecht“ unterstützen Sie mit einer Million Euro. Warum tut man so was?

Es ist ein Gerechtigkeitsdenken, das ich von frühester Jugend auf hatte. Ich habe mich immer gewundert, warum ich privilegiert geboren bin. Wenn man privilegiert ist,  muss man auch etwas zurückgeben. Dieses Gefühl hat mein ganzes Leben durchzogen. 

Haben Sie das in Ihrer Familie gelernt?

Meine Familie war schon großzügig, aber das Engagement kommt aus Peter Krämer selbst. Ich war als Kind sehr groß, aber auch sehr ängstlich. Ich wollte nicht raus, konnte auf keiner Mauer laufen wie alle anderen Kinder. Und auf Bäume wollte ich auch nicht. Man könnte vielleicht sagen, dass ich aus diesen Erfahrungen eine Sympathie für Schwäche entwickelt habe, die sich dann in Mitgefühl für andere umgewandelt hat.

Was sagt denn Ihre Familie dazu, wenn Sie so viel Geld an humanitäre Projekte verteilen?

Mein Sohn zeigt durchaus Interesse, auch ein Stück Sympathie. Er war anfangs jedoch zutiefst erschrocken, seinen Vater so oft in den Medien zu sehen. „Da gehörst Du nicht hin“, hat er gesagt. Von meiner Frau lebe ich getrennt. Meine Freunde sehen das sehr, sehr positiv. Das Schöne ist, dass ich über diese politisch-humanitären Aktivitäten echte neue Freundschaften gewonnen habe. Es ist ja normalerweise relativ schwer, im Alter neue Freunde zu gewinnen, ich rede nicht von Bekanntschaften. Aber ich habe in diesem Jahr zwei sehr wertvolle neue Freundschaften geschlossen. Das bringt mir auch was.

Sie haben mal gesagt, erst der jüngste Irakkrieg habe Sie zum Menschenrechtler werden lassen.

Ja. Im Oktober 2003 war ich auf einer Erdgas-Konferenz  in Khatar. Als an einem Morgen um sieben Uhr plötzlich die US-amerikanischen Kampfjets mit ohrenbetäubendem Lärm 80 Meter über unser Hotel hinwegdonnerten, war auf einmal alles anderes. Jedes Gespräch drehte sich nur noch um den Einmarsch in Irak - und in diesem Fall war der Großteil der Geschäftsleute, darunter viele hochrangige Manager,  strikt gegen den Krieg. Nur sehr wenige waren dafür. Ich habe später eine Anzeige in mehreren großen Tageszeitungen geschaltet, mit der ich gegen diesen Krieg protestierte. Daraus hat sich dann mein weiteres Engagement entwickelt. Wenn Sie so wollen, hat der Irakkrieg die Diskussion über Präventivschläge und die Rolle der USA in der Weltpolitik nach vorne gebracht.

Glauben Sie denn, dass Debatten oder  Aktionen von Menschenrechtlern das Selbstbewusstsein der einzigen verbleibenden Weltmacht  beeinflussen können?

Die USA geraten immer stärker an ihre Grenzen. Zum einen sind sie wirtschaftlich erheblich abhängiger geworden. Sie haben die drei großen Gläubigerländer Japan, China und Taiwan im Nacken. Ich mag solche Abhängigkeiten. Wenn Länder voneinander wechselseitig abhängig sind, bedeutet es automatisch, dass die Chance für Frieden sehr groß ist. Die USA sind an ihre Grenzen gestoßen, weil sie sich finanziell keinen weiteren Krieg leisten können. Auch personell ist das nicht mehr darstellbar. Es gibt Aktion und Reaktion. George W. Bush hat viele in Amerika, aber eben auch einen kleinen deutschen Reeder motiviert, sich wieder politisch zu betätigen.

Herr Krämer, reden wir noch ein bisschen über Ihre soziale Verantwortung als Unternehmer. Da sind Sie eher eine Ausnahmeerscheinung. Warum gibt die Mehrheit der Reichen so ungern ab?

Da geht ja nicht nur den Reichen so. In unserer Gesellschaft fehlt generell das Wir-Gefühl, wir leben in einer Ich-Gesellschaft. Man gibt vielleicht noch dem Bruder ab oder dem Bettler, der an der Ecke sitzt. Ich sehe meine gesamte humanitäre Arbeit auch als politische Arbeit, ich will die Wir-Gesellschaft befördern.

Man hat das Gefühl, dass man im Fernsehen heute über alles öffentlich und gern reden kann: Über Sex, Tod oder Ehebruch. Bloß nicht übers Geld. Woran liegt das?

Geld und Steuern sind mit einem unglaublichen Tabu belegt. Es ist ja unbegreiflich, dass wir in Deutschland – und das sind OECD-Zahlen – nur ein Viertel der Steuern auf Vermögen nehmen wie die USA, Frankreich und Japan und nur ein Fünftel dessen, was in Großbritannien gezahlt werden muss. Ich begreife nicht, warum Volksparteien das Thema so tabuisieren und da nicht rangehen. Statt dessen überlassen sie es der Linkspartei. Die Reichen haben eine hervorragende Lobby. Sie haben die verantwortlichen politischen Kräfte so stark beeinflusst, dass Steuererhöhung als Begriff per se was ganz Schlimmes ist.

Passt Ihr Motto „Eigentum verpflichtet“ noch  in die globalisierte Ich-Gesellschaft?

In den USA, und das ist in diesem Fall mal positiv zu werten, kann es sich kein Reicher leisten, sich nicht sozial in irgendeiner Form zu engagieren. Er würde geächtet und öffentlich geoutet. In Deutschland hingegen fragt kaum ein Journalist die Gebrüder Albrecht, was sie denn machen mit ihren Milliarden.

Was auch daran liegt, dass die Gründer des Aldi-Imperiums nicht mit der Presse reden.

Ja gut. Ich wüsste jedenfalls gerne, ob die sich engagieren. Dann kommt in Deutschland immer das Argument, das Gesamtsteueraufkommen sei hierzulande doch mit am höchsten. Aber die beiden Hauptträger des Steueraufkommens sind die Mehrwertsteuer und die Lohnsteuer – und die zahlen in erster Linie die so genannten kleinen Leute. Danach kommt erst die Einkommenssteuer mit 5,4 Milliarden Euro - gegenüber einer Lohnsteuer mit 140 bis 160 Milliarden Euro. Das ist fatal und müsste dringend geändert werden.

Wenn Sie die Wahl hätten: Würden Sie lieber zu den Mächtigen und Reichen zum Weltwirtschafts-Forum nach Davos fahren oder lieber zu den Globalisierungskritikern zum Weltsozialforum nach Porto Alegre?

Vom Herzen her natürlich Porto Alegre, aber von der Wirkung her wäre mir Davos wahrscheinlich fünf Mal wichtiger.

Was würden Sie den Entscheidungsträgern in Davos denn sagen wollen?

Ich würde ihnen deutlich machen, dass Globalisierung nicht Wettbewerb heißt, sondern bedeutet eine Welt zu werden. Das spüren wir jeden Tag: ob es nun die Klimakatastrophen sind oder die Flüchtlingsströme aus Afrika. Ich ärgere mich darüber, dass Globalisierung immer mit Lohndumping anfängt. Dabei hieß es schon in der Bergpredigt, dass jeder Mensch die gleichen Chancen bekommen soll. Ich würde den Managern in Davos sagen, dass sie Arbeit nicht nur als Kostenfaktor begreifen sollten, sondern als Chance für Produktivitätssteigerung, als Mehrwert. Es ist ja spätestens seit Karl Marx klar, dass der Mehrwert durch Arbeit entsteht und nicht durch Kapital.

Sie sind selbst erfolgreicher Kapitalist und reden mit Marx?

Es gibt diesen schönen Satz aus Schillers „Ode an die Freude“: „Alle Menschen werden Brüder.“ Wenn Sie den auf eine Zukunftsvision runterbrechen, in der vielleicht die Wirtschaftsform kapitalistisch ist, die Gesellschaftsform aber sozialistisch, dann wären wir relativ nah da, wo Marx vom Kommunismus spricht oder die Bibel vom irdischen Paradies.

Bis es soweit ist, werden Sie noch eine Menge Schulen in Afrika eröffnen müssen.

Gern. Es gibt diesen schönen Satz des malischen Philosophen Hambate Ba, den kennt fast jeder in Afrika. Der Malier wurde auf einer Unesco-Konferenz  gefragt, was kann denn Afrika eigentlich zur Kultur der Welt beitragen. Er sagte: „Afrika kann ihnen das zurückgeben, was Sie längst verloren haben: das Lächeln.“ Für mich ist Afrika ein wahnsinniges Glück, die afrikanische Emotionalität, das Singen und Tanzen, die Fröhlichkeit der Kinder zu erleben. Das tue ich gern noch ein paar Jahre.