„Auch der Islam erlaubt Familienplanung“

Interview mit Dr. Jamila Alraiby, der stellvertretenden Ministerin für Gesundheit und Bevölkerung im Jemen. Die Kinderärztin und ehemalige Generaldirektorin für Frauenangelegenheiten im Gesundheitsministerium arbeitet gemeinsam mit dem deutsch-jemenitischen Programm zur Förderung der reproduktiven Gesundheit daran, das rasante Bevölkerungswachstum zu begrenzen.

Frau Alraiby, nur sehr wenige jemenitische Frauen haben so viel Bildung erfahren dürfen wie Sie.

Ich bin auf dem Land groß geworden. Hier werden Frauen traditionell auf ihre Rolle als Ehefrau vorbereitet, gehen aber nicht lange zur Schule. Mein Vater hatte da eine ganz andere Meinung. Er sagte, seine Tochter solle die Welt kennenlernen, und schickte mich mit sechzehn Jahren zum Studium nach England.  Heute bin ich  Ärztin, arbeite nun schon seit einigen Jahren im Ministerium für Gesundheit und Bevölkerung und kann mit Stolz sagen, dass ich als jemenitische Frau die Gesellschaft verändern und verbessern kann.

Was ist ihr wichtigstes Anliegen?

Wenn wir es schaffen, mit Familienplanung die Geburtenrate im Jemen weiter zu senken, sind wir einen großen Schritt im Kampf gegen die Armut weiter. Wenn nicht, werden wir große Probleme haben, unsere Bevölkerung überhaupt noch zu ernähren und mit Trinkwasser versorgen zu können. Ich habe mich in den vergangenen Jahren sehr viel mit der Rolle der Frau in der jemenitischen Bevölkerung beschäftigt und mit der Frage, wie man Frauen in der Gesellschaft stärken kann. Dieser Ansatz ist neu im Jemen. Er ist aber der Schlüssel für die großen Aufgaben, die der Jemen bewältigen muss. Wenn wir damit nicht erfolgreich sind, könnte es passieren, dass wir in unserer Hauptstadt Sanaa mit ihren heute schon über zwei Millionen Bewohnern in 20 Jahren kein Trinkwasser mehr haben. Das wäre eine Katastrophe.

Welche Erfolge haben Sie erzielen können?

Armut  geht häufig mit geringer oder unzureichender Bildung einher. Das fehlende Wissen über Verhütungsmöglichkeiten führt dazu, dass arme Frauen im Durchschnitt acht Kinder haben, reiche hingegen nur zwei. 40 Prozent der jemenitischen Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, fast 70 Prozent der Frauen sind Analphabetinnen. Wir haben seit 2003 die Geburtenrate von damals 6,1 Kindern pro Frau auf heute 5,2 gesenkt. Das ist ein großer Erfolg, aber noch lange nicht genug.

Wie schaffen Sie es, Frauen, die nicht lesen können und kaum Bildung haben, trotzdem über Familienplanung aufzuklären?

Wir machen viel Aufklärungsarbeit mit Sendungen im Radio oder im Fernsehen. Sehr wichtig sind dabei die religiösen Führer, die sehr großen Einfluss im Jemen haben. Wir arbeiten schon länger mit ihnen zusammen und entwickeln gemeinsam neue Konzepte.  Beispielsweise erarbeiten wir gerade eine Broschüre für die Freitagsprediger, damit diese in ihren wöchentlichen Ansprachen über Familienplanung aufklären.